Eine Gefahr für Andere, oder für sich selbst?
Als Femme fatale zu gelten, bedeutet im heteronormativen, und demnach auch binären, Sinne Unheil für den Mann, der sich auf sie einlässt. Doch warum braucht die „verhängnisvolle Frau“, wie Femme Fatale übersetzt heißt, ihre eigene Bezeichnung? Um das zu verstehen, müssen wir uns die heterosexuelle und zweigeschlechtliche Dynamik kurz ins Gedächtnis rufen: Üblicherweise gilt die Frau ja als „schwaches Geschlecht“ und der Mann als „starkes Geschlecht“. Das ist nichts Neues, zum Glück aber etwas, das immer mehr aufweicht. Hat nun aber eine Frau besonders viel Macht über das Geschlecht der Männer, in dem sie besonders verführerisch und selbstbestimmt ist, gilt sie als böse.
Diese Erzählung kennen wir bereits aus der christlichen Schöpfungsgeschichte, wo durch Evas selbstbestimmte Tat die Menschheit ins Unglück gestürzt wurde.
Entscheidungsgewalt des weiblichen Geschlechts bedeutet historisch gesehen also immer Bedrohung der normalerweise bei den Männern liegenden Macht. Das geht so weit, dass nicht nur im übertragenen Sinne die Männlichkeit scheinbar entrissen wird, sondern sich absurde Vorstellungen wie die der Vagina Dentata, welche mit ihren Zähnen beim Sex den Penis abbeißt, bis in die heutige Popkultur durchgesetzt haben.
Das höchste Ziel ist also, die bestehende Ungleichheit von Männlichkeit und Weiblichkeit aufrecht zu erhalten.
Was heißt das jedoch konkret für nicht-binäre Personen?
Auch wir haben diese patriarchale Denkweise durch Erziehung ganz fest in uns eingebrannt bekommen. Selbst wenn einige von uns Geschlecht nicht in binärer Weise nachempfinden können, haben wir die Codes, Verhaltensweisen und Machtverhältnisse sozusagen explizit auswendig gelernt. Je nachdem, welches Geschlecht uns fälschlicherweise bei der Geburt von außen zugewiesen wurde, durften wir als Kinder mit bestimmten Dingen spielen, uns bestimmte Kleidung anziehen lassen, und bestimmte Verhaltensweisen zeigen oder Berufe wünschen. Leider sind weder binäre, noch nicht-binäre Kinder immer an genau diesen aufgezwängten Geschlechterrollen interessiert, weshalb es zu Unverständnis, seelischen und körperlichen Verletzungen, oder massivem Streit kommen kann. Ich erinnere mich selbst an die ermüdenden Kämpfe, die ich mit meiner Familie darüber führen musste, wie „feminin“ ich mich präsentieren darf. Interessanterweise hat ein gegenseitiges Unverständnis füreinander zu schwerwiegenden Missverständnissen geführt. Lange habe ich die Überzeugungsversuche ignoriert, oder sogar als böswillig abgetan. Deshalb war ich sehr verletzt durch die Ablehnung der Menschen die ich liebe, nur weil ich mein Inneres nach außen tragen wollte. Es hat sich angefühlt, als ob ich für meine persönliche Wahrheit bestraft würde.
Blanke Angst in den Augen der mich Liebenden
Erst sehr viel später, als ich mehr angelerntes Wissen über eine mir absurd erscheinende zweigeschlechtliche Gesellschaft gesammelt hatte, erkannte ich die blanke Angst in den Augen meiner mich Liebenden. Angst davor, von außen Ablehnung zu erfahren, weil ich nicht den gängigen Vorstellungen entspreche, Angst über den Machtverlust, den ich erfahren könnte, wenn ich mich mehr dem annähere, was als feminin gilt. Dabei war das nicht einmal meine Intention… Ich hatte Schwierigkeiten damit, zu verstehen warum ein Kleidungsstück, oder eine Art zu gehen, sich darauf auswirken sollte, wie viel Respekt mir Fremde entgegenbringen. Mit ein wenig mehr Lebenserfahrung muss ich hingegen sagen, sie hatten recht.
Natürlich nicht recht damit, mir einzureden, ich müsse mich an ihre Vorstellung von Geschlechtsausdruck anpassen, sondern recht mit der auffälligen Änderung des Verhaltens von Leuten mir gegenüber, je nachdem, wie sie mich an diesem Tag wahrnehmen. Es ist erschreckend wie viel weniger Respekt mir entgegen gebracht wird, wenn ich mich unabsichtlich in einer Weise zeige, die von außen als feminin interpretiert wird. Für mich macht es morgens vor dem Spiegel eigentlich keinen Unterschied, welche Kleidungsstücke ich anziehe, weil ich weder in mir selbst eine Zweigeschlechtlichkeit spüre, noch sie bei Kleidung unbedingt sehe. Natürlich musste ich mir über die Jahre mühsam aneignen, was von außen als feminin oder maskulin gewertet wird. Das hilft mir nun jeden Morgen zu entscheiden, ob ich es heute ertrage, angestarrt, möglicherweise sexuell belästigt, als inkompetent bezeichnet zu werden, oder auf der anderen Seite in der Masse unterzugehen, als kompetent und in einer möglichen Flirtsituation als der aktive Teil gesehen zu werden.
zweigeschlechtliche Machtstrukturen
Ich werde in etwas hinein gedrängt, was meiner inneren Realität nicht entspricht: zweigeschlechtliche Machtstrukturen. Warum muss ich mir als nicht-binäre Person Gedanken darüber machen, ob ich in einem Geschlecht wahrgenommen werde, das strukturell bevorzugt oder benachteiligt wird und ob es verhältnismäßig sicherer für mich ist, in einem Umfeld das anzuziehen und die Interessen zu haben, die ich wirklich habe, oder ein Theater zu spielen?
Wie für viele nicht-binäre, sowie binäre trans* Personen, bedeutet ein inklusiver queerfeministischer Kampf die einzige Möglichkeit, in Zukunft weniger Kraft für grundlegende Sicherheitsüberlegungen aufwenden zu müssen. Es darf nicht sein, dass ich mir jeden Morgen überlegen muss, ob ich von meinem Privileg, als cis wahrgenommen werden zu können (cis-passing), heute Gebrauch machen will oder muss, weil ich mich ansonsten selbst gefährde. Denn diese Gefährdung ist ein direktes Symptom der Angst von Männern, ihre eigene VorHERRschaft abgeben zu müssen. Der Kern des Feminismus ist jedoch nicht die Umverteilung von Gewalt, sondern eine würdevolle Zukunft für uns alle, das schließt uns nicht-binäre Menschen explizit ein!