Freiheit um jeden Preis, denn ohne Freiheit ist alles nichts
„Große Freiheit“ von Sebastian Meise, mit Franz Rogowski und Georg Friedrich in den Hauptrollen, wurde sowohl als bester österreichischer Film im Rahmen des Wiener Filmpreises als auch mit dem Erste Bank MehrWERT-Filmpreis ausgezeichnet. Kein Wunder, ist die Handlung um Hans, der wegen seiner Homosexualität nach Konzentrationslager und Verfolgung durch die Nazis in Westdeutschland direkt wieder im Gefängnis landet, doch eigentlich unglaublich. Und doch war dieses Unrecht nach Paragraf 175, in dessen Namen homosexuelle Handlungen in der BRD unter Strafe gestellt wurden, für viele Männer bis in die 1970er Jahre bittere Realität. Hans jedenfalls lässt sich seinen Willen nicht brechen und seinen Glauben an Recht und Gerechtigkeit nicht nehmen. Er bezahlt für sein Insistieren auf Selbstbestimmung mit jahrelangem Freiheitsentzug. Wobei grausamer Zwang und menschenverachtende Lebenszerstörung nicht nur gesetzeskonform waren, sondern fast dreißig Jahre lang – zumal nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur – von der damaligen Mehrheitsgesellschaft als völlig normal angesehen wurden. Die DurchschnittsbürgerInnen waren wohl froh, dass sie selbst nicht zu denen gehörten, die verfolgt und entrechtet wurden, schließlich waren sie die vermeintlich Guten, die den vorgeschriebenen Weg eingeschlagen hatten. Die eigenen privilegierten „Freiheiten“ nahm man dabei als verdient hin, schließlich kann man ja nichts dafür, dass andere anders sind, beziehungsweise sich nicht an die Regeln halten.
So oder so, was die meisten damals für pervers hielten, nämlich wenn erwachsene Männer miteinander einvernehmliche Beziehungen eingehen, lässt sich Hans trotz Einkerkerung, Einschüchterung und Erniedrigung nicht nehmen. Er pocht auf sein Recht auf Liebe und nicht zuletzt auf das Recht, sowohl über seinen Körper als auch seine Psyche selbst bestimmen zu können, und das überall, ob nun im Knast oder draußen. Ein mutiger Mensch, der für seine Freiheit alles gibt, nach dem Motto, Freiheit ist nicht alles, aber ohne Freiheit ist alles nichts.
C.B. Yis „Moneyboys“ (A/F/B/Taiwan) in China haben wohl mehr Freiheit, landen sie doch meist nicht im Gefängnis, müssen sich diese in der patriarchalischen Diktatur aber teuer erkaufen, nämlich mit ihrem Körper und ihrer Unversehrtheit – und somit haben sie auch keine Freiheit. Im konsumorientierten China, in dem man alles kaufen kann, nicht nur Körper und Sex, sondern auch die Liebe der Eltern, ist der Hass auf Leute, die dem Mainstream nicht entsprechen, mindestens ebenso groß wie im Westen. Denn von der im Kommunismus versprochenen Gleichheit der Menschen ist nichts geblieben, außer das, was die patriarchalischen Traditionen sowieso schon immer verlangen, nämlich die Eltern zu ehren und mit Geld zu unterstützen, auch wenn diese den Moneyboy für seine Beschäftigung hassen und verhöhnen. Freiheit erlangen die sexuell Ausgebeuteten durch ihre Tätigkeit und ihre untergebene Haltung der Herkunftsfamilie gegenüber jedenfalls nicht, nicht mal eine Scheinfreiheit, sondern eine Konsumabhängigkeit und Verachtung für das eigene Leben, das das Gegenteil von Freiheit ist.
Dennoch, auch im Gegenspielerland USA ist fast nichts Gold, was glänzt. Gold ist für die Armen hier sowieso nicht einmal mehr der amerikanische Traum. An den glaubt nun wirklich niemand mehr, schon gar nicht die Armen und Ausgebeuteten, die eigentlich die AdressatInnendieser verlogenen Moral sein sollten. „Dirty Feathers“ (USA/Mexiko) von Carlos Alfonso Corral versinnbildlicht das in erschreckend schönen schwarzweißen Aufnahmen von runtergekommenen Landschaften, Gebäuden und Menschen in El Paso, Texas. In einer Unterkunft für Obdachlose an der mexikanischen Grenze wird das ganz deutlich. Auf die Gesellschaft, die Politik und die Regierung vertraut hier keiner, haben die meisten doch das verloren, was der Gesellschaft wichtiger ist als die Menschen selbst, nämlich Status, Geld, Position und Einfluss. Die traumatisierten Gefallenen – unter ihnen eine queere Person, die die Geschlechts- und Geschlechtergrenzen für sich aufhebt – haben alle weltliche Besitztümer und Ansprüche aufgeben müssen, haben aber doch noch das Wichtigste, was das Menschsein ausmacht, Würde, Lebendigkeit, Ausdrucksfähigkeit und Überlebensgeist. Diese Eigenschaften treten tragischerweise oft erst dann zutage, wenn alles verloren scheint und man auf sich und den eigenen Körper und Geist zurückgeworfen wird. So aussichtslos ihre Lage erscheint, so offensichtlich ist, dass in der Not der Mensch, wie er eigentlich ist, in den Vordergrund tritt. Das ist nicht etwas, was man sich aussucht, weder die Betroffenen selbst noch der Filmemacher, der das hier dokumentiert. Aber Fakten und Realität lassen sich nicht aus dem Weg räumen, höchstens vorübergehend unter den Teppich kehren. Aber genau das hat die Porträtierten meist erst in die derzeitige Notlage gebracht, welche sie wiederum auf das nackte (Über)Leben zurückwarf. Wie der Titel schon sagt, das Federkleid ist schmutzig, doch den Schmutz kann man abwaschen und das Innere bleibt vom äußerlichen Dreck im Wesentlichen unberührt. Der Mensch bleibt Mensch, unerheblich eigentlich, ob er das wahrhaben will, ob er*sie nun reich oder arm, einflussreich oder mittellos ist. Die Menschen in dem Film nehmen ihr Schicksal – oft auch notgedrungen – an. Das ist die Schönheit, die unter dem unansehnlichen Panzer erhalten bleibt, an jedem Tag, den der Mensch (über)lebt.
Miguel Gomes und Maureen Fazendeiro gehen in „Diários de Otsoga“ (Portugal) die Möglichkeiten der Freiheit ganz anders an. Sie ziehen mit ihrer Filmcrew während des Sommerlockdowns 2020 in ein abgelegenes Landhaus und loten aus, was in der ungleichen Gruppe so möglich ist. Es wird gebaut, getanzt, gestritten, geschwiegen und dem Obst beim Verfaulen zugeschaut. Das Ergebnis ist eine kommunale Erfahrung von gut 100 Minuten, eingeteilt in 22 Tage und Szenen, die für die RegisseurInnen ebenso überraschend zu sein scheinen, wie für das überrumpelte Publikum. Andererseits ist Freiheit so unberechenbar und unplanbar, wie das Leben und der Film eben spielen.
Auch „El perro que no calla“ (Ar) von Ana Katz spielt mit dem Lockdown-Thema. Wie in einem bösen Traum grassiert eine Plage, die die Menschen dazu zwingt, zu kriechen und zu hocken, fallen sie doch im aufrechten Gang und Stehen einfach tot um. Entsprechend sind die Plastikkapseln, in die man den Kopf hüllt und die vor der kontaminierten Höhenatmosphäre schützen, der Hype schlechthin, der allerdings teuer bezahlt werden muss. Emotional berührend veranschaulicht wird das Dilemma zwischen Totumfallen oder Plastikhülle, als das Kleinkind des ProtagonistInnenpaares in ebenso eine Kapsel gebannt wird und es sich verzweifelt an Kopf und Nacken zu fassen versucht und die unschuldige Hand dabei auf undurchdringbares Material stößt. Die Erwachsenen dagegen haben sich schnell gewöhnt, nur dass sie eben durch die Plastikhülle im wahrsten Sinne des Wortes unberührbar werden. Das Elternpaar mit dem sich der Kapsel widerstrebenden Kind zweifelt noch, kann jedoch auf lange Sicht bestimmt von der Alternativlosigkeit der Maßnahme überzeugt werden.
Die 107 Mütter in Peter Kerekes‘ „Cenzorka“ (SK/CZ/UA), die in einer ukrainischen Strafanstalt gebären, müssen vom Wert der Freiheit nicht überzeugt werden. Zwar erzählt der Regisseur, dass ihm Mütter berichtet hätten, dass sie noch nie so viel Zeit mit ihren Kindern verbracht hätten, wie mit jenen, die im Knast geboren wurden, jedoch sprechen die Bilder ihre eigene Sprache. In Reih und Glied sitzen die Frauen, wenn man ihnen die schreienden Babys reicht, die sich zwar in den Armen der jeweiligen Mutter schnell beruhigen, aber umso lauter nach ihnen rufen, wenn sie wieder allein im großen Schlafsaal in ihre Bettchen verfrachtet werden. Ein Trauerspiel, was Menschen mit Menschen machen, um sie zum Besseren zu erziehen. Und das alles auch noch im Namen der Freiheit, der Gesundheit und des Friedens.
In dem litauischen Beitrag „Pilgrimai“ von Laurynas Bareisa hat derjenige, auf dessen Spuren sich zwei den Tatverlauf eines Mordes recherchierende Angehörige machen, seine Freiheit bereits verloren, denn er ist Opfer einer brutalen Entführung und Tötung geworden. Eigentlich ist der Film ein Roadmovie, der in Vilnius beginnt und in verschiedenen unwegsamen Geländen rund um ein Dorf, in dem das Verbrechen passierte, wiederholt ein vorläufiges Ende nimmt, bevor es weitergeht auf der Spurensuche, die kein abschließendes Ende nehmen kann, weil niemand genau weiß, wie sich das Leiden des im Kofferraum gefangenen Mannes tatsächlich anfühlte. Jedoch für die Suchenden, Bruder und Freundin des Ermordeten, geht das Leben weiter, was die beiden mit Schuldgefühlen erfüllt.
Die Freiheit, Zeitpunkt und Umstände des eigenen Todes zu bestimmen, darum geht es in „Tout s’est bien passé“ (F/B) von Francois Ozon. Zwei Schwestern (Sophie Marceau und Géraldine Pailhas) sehen sich mit der Gebrechlichkeit des Vaters (André Dussollier) konfrontiert, der nach einem Schlaganfall, von dem er sich vergleichsweise gut erholt, nicht weiterleben will. Charlotte Rampling spielt die emotional verwundete Ehefrau des Gebrechlichen, die ihm übel nimmt, dass er sich seiner Zuneigung zu Männern hingegeben hat.
Freiheit ist ein großes Thema, was sich auch in der Wahl der Preisträgerfilme wiederspiegelte. Wiener Filmpreis als auch Erste Bank MehrWERT-Filmpreis wurden eingangs bereits erwähnt. Der Spezialpreis der Jury ging an den österreichischen Beitrag „Beatrix“ von Milena Czernovsky und Lilith Kraxner. Dort lebt eine junge Frau allein in einem fremden Haus und merkt, dass Freiheit manchmal als Langeweile daherkommt, die es auszuhalten gilt. Den VIENNALE-Preis der STANDARD Leser*innen-Jury erhielt Milica Tomovic für „Kelti“ (Serbien), dem Porträt einer Familie in den frühen 1990ern, „ein vielschichtiges Gesellschaftsbild im Schatten eines Krieges“ (aus dem VIENNALE-Katalog). Mit dem Fipresci Preis der internationalen Filmkritik wurde „Re Granchio“ (I, Ar, F) von Alessio Rigo de Righi und Matteo Zoppis ausgezeichnet. Es geht um alte Geschichten, die von Glücksrittern, Schatzsuche und Jägerlatein handeln.
Vielen Filmen der diesjährigen VIENNALE ist gemeinsam, dass das Thema Freiheit erst dann in den Mittelpunkt rückt, wenn es zu einer Krise kommt, es scheinbar nichts mehr zu verlieren gibt. Erst dann tritt die Menschlichkeit, die auch unmenschlich sein kann, in all ihrer Fülle und Pracht in Erscheinung. Im Alltag geht es meist um Routine, Wohlstand und Bequemlichkeit. Wird man jedoch gezwungen, all das hinter sich zu lassen, da es gilt, das nackte Überleben beziehungsweise die psychische Gesundheit zu retten, tritt der Mensch aus seinem Sicherheitsbedürfnis notgedrungen heraus und entdeckt neue Horizonte, die beängstigend sein können, aber immer die absolute Freiheit bescheren, sogar wenn die Entdeckungen, Erkenntnisse und Wagnisse in Internierung stattfinden.