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Editorial

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Vor kurzem stand auf LinkedIn ein Beitrag mit: „Die mediale Aufmerksamkeit eines Problems verhält sich oftmals umgekehrt proportional zu seiner tatsächlichen Dringlichkeit. […] Dadurch neigen wir dazu, unsere Zeit mit Scheindebatten und Pseudoproblemen zu verschwenden.“ Zwei Kommentare brachten als Beispiel das Gendern.

Im Standard eine Kolumne von Christoph Winder: Die deutsche Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock stelle ein Junktim mit einer „für drei Viertel der Deutschen kontraintuitiven Vorstellung in den Raum, wonach Gendern für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit absolut unabdingbar sei“. Baerbock solle sich ein Beispiel an Sigrid Maurer nehmen, denn unter anderem habe diese „die Gewohnheit abgelegt, Leute in den Social Media zu maßregeln, wenn jene ihren Ideen von korrektem Gendern zuwiderhandeln.“

Und jetzt nochmal LinkedIn: Dort erhielt ich einen Kommentar, man könne ja sofort erkennen, was für einer ich wäre – ich benutze ja das *.

Das war nicht als Kompliment gemeint. Aber eigentlich war es ja auch richtig – es stimmt, Personen, die * unterscheiden sich von jenen, die nicht *. Es begann mit dem Binnen-I. Die Sichtbarmachung der Frauen mit dem Binnen-I war eine wichtige Errungenschaft, endlich wurden Frauen nicht einfach nur „mitgemeint“. Das allgemein gültige, sogenannt „generische“ Maskulinum, das halt einfach so ist, denn so ist halt einfach die deutsche Sprache – das war nicht mehr genug. Inzwischen ist das Binnen-I nicht mehr gut genug. Wir brauchen mehr, denn es gibt so vieles in unserer Welt – männlich, weiblich, transgender, nicht-binär und intergeschlechtlich (und wahrscheinlich habe ich da noch einiges vergessen).

Also ist die Lösung doch ganz leicht: Wir setzen ein *, den Asterisk, und es ist gut. Aber auch da regt sich Widerstand, zum Teil sogar von jenen, die das Binnen-I unterstützen. Bei den Argumenten steige ich aus, die sind mir zu hoch. Wie kann Gendern unwichtig sein, wenn es doch eindeutig so vielen Menschen sehr wichtig ist – sonst würden sie ja nicht auf dessen Umsetzung drängen? Wie kann das Erweitern eines Wortes um ein * die Sichtbarkeit der cisgender, binären Bevölkerungsgruppen, also der „Männer“ und der „Frauen“, reduzieren? Wie kann etwas, das nur im geschriebenen Deutsch erkannt werden kann, einmal gut sein (Binnen-I) und einmal schlecht (*)? Beide können auch nur schwer lautmalerisch dargestellt, ausgesprochen werden. Da ist das * sogar leichter, da mache ich eine kleine Pause (den Glottisschlag), das merken die meisten Zuhörer(Pause)innen.

Wahrscheinlich fehlt mir das sprachliche Feingefühl. Es ist ja nicht leicht. Mensch muss sich umgewöhnen, neue Worte lernen, sich alte abgewöhnen und auch noch die Grammatik ändern. Und das ist halt… ganz normal. Passiert ständig. Ich erlernte ja noch die alte Rechtschreibung, vor der Reform, und bin seitdem verwirrt. Und dann musste ich auch noch Internet lernen – ge-e-mailt, downgeloaded, gegoogelt – alles neu, alles selbstverständlich. Und es sind ja nicht nur neue Worte, sondern auch neue Arten zu schreiben, #nummernzeichen @digital_natives.

Sprachpurist*innen gab es immer schon, und sie standen immer schon auf verlorenem Posten. Man denke an das ernstgemeinte „Meuchelpuffer“ gegen die verpönte französische Pistole oder den satirisch gemeinten „Gesichtserker“ anstelle der Nase. Einfacher erkennt man es daran, dass schon das Deutsch von vor gerade hundert Jahren seltsam klingt, und jenes von vor mehreren hundert Jahren fast schon wie eine Fremdsprache wirkt. Doch die Proteste sind Teil des Prozesses: These, Antithese, Synthese, so ungefähr. Vor allem streuen sie Salz in die offenen Wunden: Das sind für uns die ganzen noch fehlenden Worte, denn ein * kann nicht alles leisten. Lösungsvorschläge gibt es fast schon zu viele; noch ist keiner allgemein akzeptiert, diese Lambda-Ausgabe kann nur eine kleine Zwischenbetrachtung sein. Der Prozess läuft noch und wird sich noch ein, zwei Generationen hinziehen. Ich bin überzeugt, dass er am Schluss in einem neuen, angepassten Deutsch enden wird. Ich weiß allerdings nicht, wie dieses aussehen wird. Ich werde mich sicherlich daran gewöhnen.

Von Sven Mostböck

Chefredakteur Lambda