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Wir brauchen queere Vorbilder

Ein Coming-out ist für viele LGBTIQ*-Personen noch immer schwer und ein großer Schritt

Zum Glück haben sich in Österreich die rechtlichen Rahmenbedingungen für queere Menschen in den vergangenen Jahren verbessert. Dennoch beobachte ich in meiner psychotherapeutischen Praxis, dass ein Coming-out für viele LGBTIQ*-Personen noch immer schwierig und ein großer Schritt ist. Ich bin erschüttert, mit welchen Anfeindungen und Diskriminierungen gerade junge Menschen hier konfrontiert sind. „Schwuchtel“ gehört leider weiterhin zu den meistverbreiteten Schimpfwörtern in den Schulen. Umso notwendiger ist in Wien ein queeres Jugendzentrum, wie es von der Stadt geplant wird. In die psychotherapeutische Praxis kommen Menschen mit Depressionen, starken Ängsten oder anderen psychischen Herausforderungen. Sie erzählen zu Beginn oft nicht, dass sie lesbisch, schwul, bi, trans*, inter* oder queer sind. Denn es braucht Zeit und den Aufbau von Vertrauen, damit sich die Menschen langsam öffnen können. Wichtig dabei ist, den Druck und Stress herauszunehmen. Was ein Coming-out betrifft, so muss sich nicht jede Person gleich in der Familie, vor Verwandten, in der Schule oder am Arbeitsplatz outen. Sondern zunächst geht es darum, behutsam mit den Ängsten umzugehen und sich langsam selbst zu akzeptieren und sich anzunehmen.

Selbstakzeptanz kann erlernt werden

Jede Person, ob lesbisch, schwul, bi, trans*, inter* queer, ist in Ordnung und hat es verdient, zu lieben und geliebt zu werden. Selbstakzeptanz kann erlernt werden. Bei der Auseinandersetzung mit sich selbst können queere Vorbilder im Film, im Fernsehen (queere Netflix-Serien sind hier zu empfehlen) und in Romanen hilfreich sein. Die Erzählungen von anderen Menschen können motivieren, inspirieren und vielleicht Wege für die eigene Entfaltung aufzeigen.

Auch queere Vorbilder machten anfangs eine schwierige Zeit durch, wie das Beispiel von Alexander Walzel sein. Er kommt aus einem Ort in der Nähe von Linz und ist heute mit dem Namen Aquamarin einer der bekanntesten Youtuber*innen Österreichs. Ihm folgen rund 150.000 Menschen in den sozialen Netzwerken. Er hatte eine schöne Kindheit, bis seine Sexualität ein Thema wurde. „Die anderen Kinder haben früh gemerkt, dass ich anders bin. Es sind schlimme Dinge passiert. Mobbing, körperliche Gewalt, Ausgrenzung“, erzählt er im jüngst erschienenen Buch „Coming-out“ (riva Verlag). Hier schildern LGBTIQ*-Personen, wie sie schwierige Phasen überwunden und gelernt haben, sich selbst zu akzeptieren.

Schlimme Diskriminierungen

Bei Aquamarin war die Diskriminierung besonders schlimm. In der Schule sei er jahrelang „Schwuchtel“, „Mädchen“ und „Homofürst“ genannt worden. Im Alter von 14 Jahren habe er sich in einen Klassenkameraden verliebt. „Da ist mir dann endlich ganz bewusst geworden, dass ich schwul bin“, sagt er. Aquamarin traute sich, dem Klassenkameraden einen Liebesbrief zu schreiben. Doch der andere las den Brief vor der ganzen Schulklasse vor. Nach dieser Demütigung wurde das Mobbing noch heftiger. Dabei war er ganz alleine. Keine Person hat ihm geholfen – weder Lehrer*innen, noch Mitschüler*innen oder Freund*innen. „Ich musste selbst damit fertig werden. Niemand hat sich für meine Situation interessiert. Heute glaube ich, dass mich das stärker gemacht hat“, so Aquamarin. Er zog sich damals in ein Schneckenhaus zurück und hielt andere Menschen aus Angst vor Angriffen und Verletzungen auf Distanz. Hinzu kam das Unverständnis seiner Eltern. „Es gab lange Gespräche und Streitigkeiten. Anfangs sagten sie, dass ich meine Homosexualität nicht in ihrem Haus ausleben durfte.“ Mittlerweile haben seine Eltern die Homosexualität akzeptiert.

Schwierige Phasen überwinden

Aquamarin mag das Wort Coming-out nicht. Denn er will sich nicht erklären und rechtfertigen müssen, wer er ist. Er will einfach akzeptiert werden. Im Laufe der Zeit lernte er, sich selbst anzunehmen. Aquamarin erzählt, dass er sich früher für seine Sexualität und sein Anderssein gehasst habe. Schuld daran waren unter anderem die fiesen Stimmen aus der Schule, die ihn beleidigten, erniedrigten und ihm sagten, dass er nichts wert sei. Auf dem Weg zur Selbstliebe haben ihm seine Songs und die Liebe zur Musik geholfen. Die Songs sind für ihn teilweise auch eine Selbsttherapie. Die Musik half ihm, Gefühle und Gedanken auszudrücken. Heute spricht er in den sozialen Medien ganz offen über sein Leben. Er versucht damit ein Vorbild für andere Menschen zu sein. Ihm passiert es noch immer, dass er angefeindet und als „Schwuchtel“ beschimpft wird. Doch im Gegensatz zu früher versteckt er sich nicht mehr, sondern konfrontiert die Angreifer*innen mit dem Mobbing. Dann hören die Beschimpfungen auf. „Ich kann durch die Straßen gehen und es ist mir mehr oder weniger egal, was jemand sagt. Es prallt einfach von mir ab“, erzählt er im Buch „Coming-out“. Das Buch ist lesenswert. Die Lebensgeschichten zeigen, wie vielfältig ein inneres und äußeres Coming-out sein kann. Die Lektüre gibt Kraft und Mut. Denn die Beispiele zeigen, dass Menschen schwierige Phasen überwinden können und daraus gestärkt hervorgehen.

In dem Buch berichtet die ebenfalls über die sozialen Medien bekannte Melina Sophie über ihr Coming-out als lesbische Frau. Sie versuchte in ihrer Jugend ein heterosexuelles Mädchen zu sein. Irgendwann konnte sie der Wahrheit nicht mehr aus dem Weg gehen. „Ich hatte so große Angst vor den Konsequenzen.“ Sie wusste, dass LGBTIQ*-Menschen „noch nicht so akzeptiert werden, wie es eigentlich der Fall sein sollte“. Sie glaubte, dass sich Menschen von ihr abwenden. Doch es kam anders. „Meine Mama hat mich in den Arm genommen und mich gefragt, wieso ich weine. Er sei doch ganz normal, lesbisch zu sein. No big deal“, erzählt Melina. Sie begriff, dass ihre frühere Angst ein Scheinriese gewesen ist. Sie war lange Zeit vor der Angst, sich zu outen, weggelaufen. Doch damit wurde die Angst noch größer.

Selbstwertgefühl stärken

Berührend ist auch die Erzählung von Jolina Mennen. Sie ist eine der bekanntesten trans*-Youtuber*innen im deutschsprachigen Raum. Sie wurde in der Schule von Mitschüler*innen verbal und körperlich attackiert. „Ich war die Schwuchtel, das Mädchen. Immer und überall“, erzählt sie. Das Mobbing gehörte zum Alltag. „Das ging über vier oder fünf Jahre so. Irgendwann habe ich die Beleidigungen nicht mehr gehört und von den Eltern und Lehrer*innen ist auch niemand eingeschritten.“ Sie lernte mit den Angriffen zu leben. Jolina findet es schade, dass sie in ihrer Kindheit und in ihrer Jugend keine trans* Personen kannte, die ihr ein Vorbild hätten sein können. In den Medien und in Talkshows seien queere Personen oft als Paradiesvögel oder als Zirkusclowns dargestellt worden. „Hätte ich damals, als ich fünf oder sechs war, ein Positivbeispiel für eine trans Person gehabt, wäre ich vielleicht zu meiner Mutter gegangen und hätte gesagt: ‚Mama, so will ich auch sein‘“, erzählt Jolina. Als Jugendliche besuchte sie Partys, hatte viel Sex. „Ich habe alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.“ Sie habe ihren Körper so sehr gehasst. „Ich wollte, dass zumindest andere ihn liebten.“ Die Wende geschah, als sie lernte, sich selbst anzunehmen und zu lieben.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.