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Aus lesbischer Sicht

16 Tage gegen Gewalt

Ein Kampf gegen ein strukturelles Problem

Inhaltswarnung:
genderbasierte Gewalt, Formen von Gewalt, Mord

Die jährliche Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen*“ stellt seit 1991 einen zentralen globalen Aufruf dar, eine der hartnäckigsten und verheerendsten Formen von Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit in den Fokus zu rücken. Das Ziel ist klar: Das Problem der genderbasierten Gewalt als strukturelles Phänomen zu benennen, das Bewusstsein zu schärfen und alle Teile der Gesellschaft zum Handeln aufzurufen. Die Signalfarbe hierfür ist die Farbe Orange. Als leuchtende, optimistische und helle Farbe soll diese eine Zukunft frei von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* repräsentieren. Sie steht für Hoffnung und positive Veränderung.

Die Relevanz des Aktionszeitraums

Der Aktionszeitraum vom 25. November bis zum 10. Dezember ist bewusst gewählt. Er beginnt am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* und endet am Internationalen Tag der Menschenrechte. Diese Verbindung unterstreicht symbolisch, dass Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* kein zufälliges oder seltenes Einzelereignis ist, sondern eine fundamentale Verletzung von Menschenrechten. Diese Form der Gewalt ist allgegenwärtig und nimmt zahlreiche Ausprägungen an: von sexualisierter und häuslicher Gewalt bis hin zu psychischer, verbaler und der zunehmenden Cybergewalt im digitalen Raum.

Die Geschichte hinter den „16 Tagen gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen*“

Am 25. November 1960 wurden die drei Schwestern Mirabal in der Dominikanischen Republik vom militärischen Geheimdienst nach monatelanger Folter getötet. Sie waren im Untergrund tätig und hatten sich an Aktivitäten gegen den Diktator Rafael Trujillo beteiligt. Seit 1999 ist der 25. November auch von den Vereinten Nationen als offizieller internationaler Gedenktag anerkannt.

Gewalt als Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse

Genderbasierte Gewalt ist so tief in der Gesellschaft verankert, weil sie aus strukturellen, gesellschaftlichen Ungleichheiten erwächst. Sie ist ein Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, die historisch durch patriarchale Strukturen und traditionelle Geschlechterrollen zementiert wurden. Gewalt dient oft als Mittel zur Dominanz, Kontrolle und Unterdrückung, um Frauen* in eine untergeordnete Position zu zwingen.

Die heimtückische Natur der strukturellen Gewalt

Ein besonders tückischer Aspekt ist die sogenannte strukturelle Gewalt. Diese beschreibt nicht nur direkte körperliche Angriffe, sondern auch gesellschaftliche Verhältnisse, die Frauen* systematisch benachteiligen und ihre Lebenschancen einschränken. Dazu zählen:

● Ökonomische Abhängigkeit: Geringere Löhne und Karrierechancen (Gender Pay Gap), die den Ausstieg aus gewalttätigen Beziehungen finanziell erschweren.

● Unterrepräsentation: Die mangelnde Teilhabe in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien, wodurch die Belange von Frauen* oft keine Priorität erhalten.

● Mehrfachdiskriminierung: Betroffene Frauen* und Mädchen*, die zum Beispiel zusätzlich Rassismus, Ableismus oder Queerfeindlichkeit erleben, sind einem noch höheren Risiko Opfer von Gewalttaten zu werden ausgesetzt.

Genderbasierte Gewalt wird durch das strukturelle Versagen der Gesellschaft aufrechterhalten, indem Gewalt oft als „Privatsache“ verharmlost wird. Dies zeigt sich vor allem in der Medienberichterstattung zu Femiziden (d.h. Morde an Frauen*, welche strukturelle Hintergründe haben), in der diese oft als „Liebesdrama“ oder „Familiendrama“ betitelt werden. Dabei stehen die Täter*innen (in der Regel: cis-männliche Täter) und ihre Motive im Vordergrund, während die Opfer unsichtbar gemacht werden oder ihnen gar die Schuld an der Tat zugesprochen wird. Zu dem strukturellen Versagen der Gesellschaft zählen auch institutionelle Lücken wie beispielsweise mangelnde verlässliche Finanzierung von Frauen*häusern oder Beratungsstellen.

Forderung nach einem umfassenden Wandel

Während der „16 Tage“ wird durch eine Vielzahl von Aktionen – von Demonstrationen über Podiumsdiskussionen bis hin zu großen Kampagnen – für mehr Sichtbarkeit gesorgt. Denn die verheerenden Folgen der Gewalt schädigen nicht nur die direkt Betroffenen, sondern wirken sich auf Kinder, Familien und die Gesellschaft als Ganzes aus.

Um das tief verwurzelte Problem genderbasierter Gewalt zu bekämpfen sind ganzheitliche strukturelle Maßnahmen erforderlich. Die Istanbul-Konvention des Europarates aus dem Jahr 2011 (in Österreich in Kraft seit dem 1. August 2014) liefert hierfür den rechtlichen Rahmen. Sie fordert einen umfassenden Ansatz, der auf vier Säulen beruht: Prävention (Abbau von Geschlechterstereotypen), Schutz (Hilfsangebote), Strafverfolgung (konsequente Ahndung) und koordinierte Politik.

Die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen*“ sind somit ein eindringlicher Appell: Das Recht auf ein gewaltfreies Leben muss für jede Frau* und jedes Mädchen* ohne jede Einschränkung gelten – und zwar an 365 Tagen im Jahr.

Was man als Privatperson tun kann

Ein entscheidender Schritt im Kampf gegen Gewalt ist die aktive Überwindung des Wegschauens: Sobald man etwas beobachtet oder die Vermutung hat, dass eine Person von Gewalt betroffen sein könnte, ist es wichtig, zu handeln. Dazu kann man sich sofort Hilfe von Beratungsstellen suchen, um im Vorfeld den Umgang mit der Situation zu besprechen.

Eine weitere Möglichkeit ist, die betroffene Person sanft und empathisch anzusprechen und Unterstützung anzubieten. Das Wichtigste dabei ist zuzuhören und der Person Raum und das Gefühl zu geben, dass ihr geglaubt wird. Nichts stärkt Betroffene mehr als das Gefühl, ernst genommen zu werden und nicht allein zu sein. Weiters ist es auch wichtig, unmissverständlich klarzumachen, dass die Gewalt niemals die Schuld des Opfers ist. Bei all dem sollte man unbedingt auf die eigenen Grenzen achten und sich darüber bewusst sein, dass man sich jederzeit Unterstützung holen kann – sowohl für sich als auch die betroffene Person.

Denn man sollte sich auch im Klaren darüber sein, dass man als Privatperson nicht Berater*in oder Therapeut*in ist. Man kann dafür jedoch den Weg zu professioneller Hilfe ebnen. Es ist essenziell, Kontakte bereitzuhalten, wie etwa die „Frauenhelpline gegen Gewalt“ (0800 222 555), die 24 Stunden am Tag kostenlos und anonym erreichbar ist. Es kann auch helfen, die betroffene Person zu einem ersten Termin bei einer Beratungsstelle oder zum Polizeiposten zu begleiten. Auch im Falle, dass man selbst unsicher ist, wie man am besten in einer Situation reagieren soll, stellt die „Frauenhelpline“ eine erste Anlaufstelle dar, die konkrete Anweisungen und professionellen Rat, wie man sicher und effektiv unterstützen kann, bietet.

Im Fokus von all diesen Handlungsmöglichkeiten sollen stets die Wünsche der Betroffenen stehen, da es noch mehr Machtlosigkeit verursachen kann, wenn über den eigenen Kopf hinweg entschieden wird.

Beobachtet man einen Übergriff direkt vor sich, wie beispielsweise im öffentlichen Raum, sollte die eigene Sicherheit an erster Stelle stehen. Man kann nur helfen, wenn man selbst nicht zu Schaden kommt. Dennoch sollte unbedingt gehandelt werden: Man kann zum Beispiel jederzeit den Notruf wählen, bei Bedarf auch aus der Distanz. In öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es auch immer einen SOS-Knopf bzw. -Hebel, mit welchem man Hilfe anfordern kann. Wichtig ist es immer zu handeln und nicht nur zuzuschauen!

Der größte langfristige Beitrag zur Beendigung genderbasierter Gewalt ist die Veränderung der gesellschaftlichen Haltung. Um dies zu erreichen, muss man Sexismus, sexistischen Witzen und Stereotypen aktiv entgegentreten. Deutlich zu machen, dass solche Aussagen inakzeptabel sind, ist essenziell. Die Verantwortung für die Hilfe und den Schutz der Betroffenen liegt letztlich bei uns allen.

Der Kampf für Gleichberechtigung und den Schutz aller Frauen* und Mädchen* ist nicht nur in den „16 Tagen“ wichtig, sondern eine 365-Tage-Aufgabe, die uns alle betrifft. Es liegt an jeder einzelnen Person, hinzusehen, hinzuhören und aktiv zu handeln, um auf dieses strukturelle Problem aufmerksam zu machen und es zu bekämpfen. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass jeder Tag ein Tag gegen Gewalt ist! Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass keine Frau* und kein Mädchen* mehr allein mit diesen Problemen kämpfen muss! Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir gehört und gesehen werden!

Chelsea
LesBiFem Team
HOSI Wien

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.