Kategorien
Community & Politik

Queer und rechts

Beim Thema Queerfeindlichkeit sind extrem rechte Parteien widersprüchlich. Auf der einen Seite gibt es autokratisch regierte Staaten wie Russland, Ungarn und die Türkei, die mit Härte gegen alle queeren Personen vorgehen. Daneben gibt es Länder in Westeuropa und in den USA, in denen Schwule und Lesben mit rechten Parteien gemeinsame Sache machen. In Deutschland etwa hat die rechte AfD mit Alice Weidel eine lesbische Parteivorsitzende. In Frankreich sympathisieren viele Homosexuelle mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen. In Österreich und in Deutschland veröffentlicht das schwule Dating-Portal Romeo regelmäßig Wahlumfragen, wonach deren männliche Nutzer oft rechte Parteien wie die FPÖ und die AfD wählen. Dies sorgt für Kontroversen und Unverständnis. Das Dating-Portal verteidigt jedoch seine Umfragen und weist Manipulationsvorwürfe zurück. Damit stellt sich die Frage, warum manche queere Personen so gut mit rechten Parteien können.

Aus der Psychologie gibt es dafür mehrere Erklärungsversuche. Eine Antwort ist, dass sich Minderheiten besonders stark bemühen, von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Nach diesem Konzept dürfe eine diskriminierte Personengruppe auf noch mehr Akzeptanz hoffen, wenn sie gemeinsam mit der Mehrheitsbevölkerung gegen eine andere Gruppe vorgeht. So akzeptieren beispielsweise rechte Parteien nur Schwule und Lesben, die sozial angepasst, bürgerlich, wirtschaftlich erfolgreich und monogam sind. Gemeinsam grenzen sie dann Asylwerber*innen und trans Personen aus. So hat beispielsweise US-Präsident Donald Trump den 63-jährigen schwulen Hedgefonds-Manager Scott Bessent zum neuen Finanzminister ernannt. Bessent ist der erste offen schwule Finanzminister in der US-Geschichte. Er wurde in der Vergangenheit wegen seiner Homosexualität ausgegrenzt. Es war ihm früher nicht möglich, die US-Marineakademie zu besuchen. Bessent machte in der Finanzbranche Karriere und gilt als sehr vermögend. Privat führt er ein bürgerliches Leben. Er hat einen Ehemann und zwei Kinder. Bessent gilt als loyaler Gefolgsmann von Trump, dessen Regierung zahlreiche Gesetze gegen Migrant*innen und trans Personen verabschiedet hat.

 Unbearbeitetes Trauma

Eine andere psychologische Erklärung, warum Schwule und Lesben rechte Parteien wählen, sind unbearbeitete Traumata und lang anhaltende Diskriminierungserfahrungen. Der Begriff Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Verletzung und Wunde. Gemeint ist, dass einem Menschen eine psychische Wunde zugefügt wurde. Zu diesem Thema passt das Theaterstück „Das Vermächtnis“, das gerade im Wiener Theater in der Josefstadt aufgeführt wird. Das Drama des US-Autors Matthew López gilt als eines der bedeutendsten schwulen Bühnenstücke und hat weltweit zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Kein anderes Theaterstück setzt sich so intensiv und tiefgründig mit verschiedenen schwulen Lebensgeschichten auseinander. Obwohl es hauptsächlich um Schwule geht, ist die siebenstündige Aufführung für alle empfehlenswert. 

Unter den vielen verschiedenen Figuren taucht in dem Stück der Milliardär und New Yorker Immobilienmakler Henry Wilcox auf. Dieser steht für einen reichen und privilegierten weißen Cis-Schwulen, der die Republikaner*innen von Trump wählt. Für Henry sind Geld, die unternehmerische Freiheit und der persönliche Erfolg das Wichtigste. Bei einem Brunch im Freundeskreis erzählt er, dass die Pharmaindustrie die Medikamente gegen Aids nicht aus humanitären Gründen, sondern nur aus Profitgier entwickelt habe. Daher wähle er die Republikaner*innen, weil diese die unternehmerische Freiheit hochhalten und sich für einen schlanken Staat aussprechen. Henry gilt als erfolgreicher Dealmaker. Um seinen Gefühlen zu entfliehen, geht Henry mit einem anderen Schwulen einen „Ehe-Deal“ ein. Denn ihm ist es wichtig, nach außen eine bürgerliche Fassade aufrecht zu erhalten. Doch Henry hat noch eine andere Seite. Er konsumiert Sexarbeit zur Triebbefriedigung. Auch hier geht es für ihn nur um ein Geschäft. Henry wählt als älterer Mann jüngere, normschöne Sexarbeiter aus. Dass einer seiner Sexarbeiter obdachlos ist, berührt den Multimilliardär nicht. Er lässt mit Sätzen wie „Was kümmert mich, wen ich ficke“ aufhorchen. Im Laufe des Stücks wird deutlich, dass der Republikaner-Wähler Henry ein altes Trauma nicht aufarbeiten will. Er tut alles, um seine emotionalen Schmerzen und seine innere Verwundung zu unterdrücken. 

Beim Stück „Das Vermächtnis“ geht es um die Frage, wie Schwul-Sein beziehungsweise Queer-Sein gelebt werden kann. Verfolgen schwule Männer egoistisch den eigenen Weg, wählen sie rechte Parteien und benutzen sie andere rücksichtslos beim Sex? Oder arbeiten sie ihre Traumata auf, zeigen sie Mitgefühl und sind solidarisch mit trans Geschwistern, Obdachlosen und People of Color? Die Wörter „ficken“ und „gefickt werden“ sind in der Aufführung oft zu hören. Auf die schwule Welt wird schonungslos in allen Facetten eingegangen wie Drogenmissbrauch, Chemsex, ungeschütztem Sex, die Einnahme von PrEP und sexualisierte Gewalt. Es gibt Heiratsanträge und eine Hochzeit, in denen von Liebe nichts zu spüren ist. Einmal wird Liebe von einem Mann als schlimmes Gefühl bezeichnet, weil er es nicht betäuben kann. „Das Vermächtnis“ ist ein Stück über gebrochene Herzen und schwule Traumata, aber auch von Liebe und Solidarität. 

Unterdrückte Gefühle

Das Stück macht deutlich, dass queere Personen oft Traumata erlebt und lang anhaltende Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Bei einem Trauma kommt es zu starken Ängsten und Verlusten wie dem Verlust der Sicherheit und Geborgenheit, was zu einer andauernden Ohnmacht, Hilflosigkeit und Einsamkeit führen kann. Die Betroffenen werden davon überwältigt und spalten dann ihre eigenen Gefühle ab. Um von einem Trauma loszukommen, kann es hilfreich sein, die früheren Verluste zu betrauern und die emotionalen Verwundungen zu bearbeiten. Das ist meist ein schmerzhafter Prozess. Gerade Männer wollen sich aber oft schmerzhaften Gefühlen nicht stellen, sondern setzen auf Härte. Sie haben Angst, Gefühle zu zeigen, weil das als Schwäche interpretiert werden könnte.

Psycholog*innen vertreten die These, dass unbearbeitete Traumata mit dem Aufstieg von rechten Parteien zusammenhängen können. Denn wir leben in einer immer komplexer werdenden Welt mit schnellen Veränderungen. Das führt zu einer starken Unsicherheit und Ohnmacht, die durch ungelöste Traumata aus der Vergangenheit getriggert werden. Die betroffenen Menschen wählen dann unter Umständen rechte Parteien, die einfache Lösungen versprechen. Wobei es hier keinen Automatismus gibt. Nicht jedes unbehandelte Trauma führt zu einer Radikalisierung oder zur Unterstützung von rechten Bewegungen. Manche Personen können mit der Verdrängung der alten Gefühle gut leben. Andere leiden unter starken Ängsten, Panikattacken, übertriebener Wachsamkeit, Alpträumen mit Schlafstörungen, Depressionen oder entwickeln ein Suchtverhalten. Eine Folge von unbearbeiteten Traumata können auch Impulsivität und Hyperaktivität sein. Dies kann sich im übertriebenem Aktionismus äußern. Andere halten sich für etwas Besonderes und wollen immer im Mittelpunkt stehen, weil sie die früheren Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht mehr spüren möchten.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.