Back to the 80s?
HIV hat sich von einer tödlichen in eine gut behandelbare chronische Infektion mit hoher Lebenserwartung verändert. Die heutige Situation ähnelt nicht annähernd den Anfangszeiten der HIV-Epidemie in den 80er-Jahren. Und trotzdem muss man sich der Vision stellen, dass vergleichbare Zustände wieder Realität werden.
Die Erfolge im Bereich HIV sind enorm und zu Recht spricht man von einer medizinischen Erfolgsgeschichte. In den ersten 15 Jahren nach Bekanntwerden von HIV waren keine bzw. nur bedingt wirksame Medikamente verfügbar. Das Resultat ist hinlänglich bekannt: Millionen Menschen verstarben infolge einer HIV-Infektion – mit verheerenden Konsequenzen auf persönlicher Ebene für Familien, Partner*innen und Freund*innen sowie auf gesellschaftlicher, politischer und auch wirtschaftlicher Ebene. Inzwischen kann dank moderner Therapien ein langes Leben mit HIV voller individueller Perspektiven und mit guter gesundheitsbezogener Lebensqualität ermöglicht werden.
Therapie feiert Erfolge
Die modernen Wirkstoffe sind hocheffektiv und im Regelfall sehr gut verträglich. Ein weiterer Fortschritt ist z. B., dass es bei heutigen Medikamenten seltener zu Resistenzen kommt und sie weniger Wechselwirkungen mit anderen Substanzen hervorrufen als die frühen Wirkstoffe. Zusätzlich kann die Therapie leichter in den Alltag integriert werden, da sie meistens nur aus einer Tablette pro Tag oder aus zwei Injektionen alle zwei Monate besteht. Der Erfolg der Therapie lässt sich mit einer globalen und einer österreichischen Statistik besonders leicht veranschaulichen: Die Anzahl der weltweiten HIV-assoziierten Todesfälle ist in den letzten 20 Jahren von über 2 Millionen auf 680.000 pro Jahr gesunken. In Österreich ist das mediane Alter der Patient*innen, die in den großen Schwerpunktspitälern betreut werden, in der gleichen Zeit von 39,2 auf 50,8 Jahre gestiegen.
Prävention feiert Erfolge
Auch in der Prävention hat sich, zusätzlich zu den bewährten Schutzmaßnahmen wie das Verwenden eines Kondoms, viel getan und ebenfalls spielen HIV-Medikamente eine tragende Rolle. Es ist längst bekannt, dass unter effektiver Therapie sexuelle Übertragungen nicht mehr möglich sind. Daher liegt auf der Hand: Je mehr Menschen mit HIV eine Therapie verfolgen können, desto weniger Neuinfektionen werden auftreten. Genauso hat die HIV-PrEP den Bereich revolutioniert und kann ebenfalls ausgezeichneten Schutz bieten. Erst 2024 hatte wieder eine neue PrEP-Studie bahnbrechende Erfolge gefeiert: Es kam zu keiner einzigen Infektion bei cis Frauen in Subsahara-Afrika. Die Forschung schreitet also weiter voran.
Medizin kann Epidemie beenden
Das Fazit ist klar: Die Medizin hat ausgezeichnete Optionen geschaffen. Modellrechnungen zeigen, dass bei richtigem Einsatz dieser Möglichkeiten ein Ende der HIV-Epidemie nicht nur machbar, sondern auch zum Greifen nahe wäre. Kernpunkte im Beenden sind unter anderem Testangebote, damit genügend Menschen über ihren HIV-Status informiert sind, Therapieverfügbarkeit, damit Menschen die lebensrettende Behandlung einnehmen können, und adäquate unterstützende Gesundheitsstrukturen, damit die Therapieziele anhaltend und lebenslang erreicht werden können.
HIV-Statistik sieht anders aus
Die reale Situation sieht jedoch anders aus und in der globalen Statistik von 2023 ist keinerlei Verbesserung zu sehen. Die Neuinfektionen sind mit 1,3 Millionen auf exakt gleichem Niveau wie das Jahr zuvor und auch die HIV-assoziierten Todesfälle wurden nicht reduziert. Jede vierte Person mit HIV hatte keinen Zugang zu Therapie. Zusätzlich zu diesen ernüchternden Zahlen zeigt die Statistik, dass manche Menschen einem deutlich höheren Risiko für eine Infektion ausgesetzt sind. So liegt die weltweite HIV-Prävalenz bei 0,8 %, aber in der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, ist sie um 7,7 % und in der Gruppe der trans* Personen um 9,2 % höher.
Wissenschaftliche HIV-Konferenz bezieht Stellung
Im Frühjahr 2025 fand mit der sogenannten CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections) die renommierteste infektiologische Konferenz für Expert*innen aus Forschung und Medizin statt. Obwohl der Kongress seit jeher eine rein wissenschaftliche Ausrichtung hat, waren heuer (zumindest am Rande) gesellschaftspolitische Themen sichtbar. Damit bezog die CROI durchaus Stellung zu aktuellen Entwicklungen. Nachdem es sich um eine US-amerikanische Konferenz handelt, fand dies auch Aufmerksamkeit. Interessant war in dem Zusammenhang etwa ein neu inkludierter Satz zur Etikette der Konferenz. Seit vielen Jahren werden hier von der CROI ein paar „Benimmregeln“ zusammengefasst. Bis dato waren dies allgemeine und eher organisatorische Hinweise, etwa dass Handys in Vorträgen auszuschalten sind oder keine Fotos und Videomitschnitte von Vorträgen veröffentlicht werden dürfen. Dieses Jahr war erstmals zu lesen, dass die Kommunikation zwischen allen Teilnehmer*innen respektvoll und auf den wissenschaftlichen Inhalt konzentriert sein sollte. Ein Hinweis, der nun leider notwendig scheint.
Trans* Menschen zwischen Respekt und Verleugnung
Als renommierteste HIV-Konferenz beschäftigt sich die CROI auch mit der Situation von trans* Personen und wie ihre Gesundheit und Lebensqualität besser gefördert werden kann. Viele wissenschaftliche Arbeiten der Konferenz widmeten sich auch heuer dezidiert den Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppe. Zusätzlich fordert die Konferenz traditionell ganz aktiv die korrekte Verwendung von Begriffen und damit einen respektvollen Umgang mit trans* Menschen ein. In Anbetracht der oben erwähnten hohen HIV-Prävalenz ist dieser Anspruch ein essenzieller Bestandteil im Kampf gegen die Epidemie.
Es ist jedoch zu befürchten, dass die Expert*innen diesen Ansatz nicht mehr lange aufrechterhalten können. Denn während sich die CROI für trans* Menschen einsetzt, ist zeitgleich seit Frühjahr 2025 auf der Website der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) etwas ganz anderes zu lesen. Mit Bezug auf die Trump-Administration findet sich der Hinweis, dass die epidemiologischen Daten zu HIV extrem ungenau seien, denn die Statistiken seien „losgelöst von der unveränderlichen biologischen Realität, dass es zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich“.
PEPFAR zwischen weltführend und katastrophal
PEPFAR (President’s Emergency Plan for AIDS Relief) wurde 2003 von den USA als Antwort auf die HIV-Epidemie initiiert und galt bis jetzt als das weltweit größte und erfolgreichste Programm gegen HIV/AIDS. Dank PEPFAR konnte in den letzten 20 Jahren das Leben von über 25 Millionen Menschen gerettet werden. Damit haben die USA Geschichte geschrieben. Nun verändert sich die Situation. Mit Anfang 2025 wurden PEPFAR-Gelder eingefroren. Als direkte Konsequenz mussten in vielen Ländern Test- und Therapieprogramme pausiert bzw. eingestellt werden.
Die CROI 2025 gab dem die größtmögliche Bühne. Die erste Plenarsitzung der Konferenz und damit eine der prominentesten Positionen im Kongressprogramm befasste sich mit PEPFAR und den aktuellen Geschehnissen. Eine Hochrechnung zeigte die tragende Rolle von PEPFAR am Beispiel von 12 Hochprävalenzländern auf: Bei Beibehaltung des Programms können hier in den kommenden fünf Jahren etwa 5,2 Millionen HIV-assoziierte Todesfälle verhindert werden. Die Anzahl der Waisenkinder, deren Eltern an HIV/AIDS verstarben, sinkt um 4 Millionen. Solche Erfolgszahlen in nur wenigen Jahren zeigen den Einfluss von PEPFAR auf. Wird PEPFAR eingestellt, steigt im gleichen Zeitraum die Todesrate um 400 % an und verdoppelt sich die Zahl der AIDS-Waisen.
Fazit
Mit der derzeitigen Entwicklung ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Situation in Bezug auf HIV in einigen Regionen der Welt und in manchen Bevölkerungsgruppen wieder wie in den 80er-Jahren aussieht. Der Aufruf kann daher nur sein, dem alles entgegenzusetzen, was möglich ist, auch wenn man selbst keinen direkten Bezug dazuhat. Denn wie Martin Luther King sagte: „Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.“