(Zitat von Verity Ritchie)
Skyrim wird dieses Jahr 16 und die Gaming-Community steckt noch immer in derselben binĂ€ren Geschlechterordnung fest wie damals. Unrealistische Schönheitsideale verfolgen Gamer*innen in die digitale Welt und dominieren das Erscheinungsbild der Spielfiguren â weiblich gelesene (humanoide) Charaktere sind sexy und MĂ€nnlichkeit muss sich klar vom âGay-Seinâ/ Queerness abgrenzen. Fanservice, der sich an andere Demografiken richtet, wird den cis-mĂ€nnlichen Spielern erst gar nicht zugemutet. Vor allem, wenn sich diese alteingesessene Zielgruppe bei jeder Kleinigkeit ĂŒber sogenannte âWokenessâ aufregt, siehe beispielsweise das Drama um Stellar Blade und dessen Zensur eines ultra-freizĂŒgigen Outfits der weiblichen Hauptfigur (es handelt sich um eine Handvoll Pixel beim DekolletĂ©). Weniger âboobsâ sind tatsĂ€chlich sehr woke.
Diese binĂ€re Zweigeschlechterordnung bzw. Zweigeschlechtlichkeit ist das Produkt unserer westlichen (durch den Kolonialismus auch zwangsweise vieler nichtwestlichen) patriarchalen Gesellschaften, welches das Leben der Menschen und ihre sozialen Rollen in zwei bei der Geburt zugeordnete Geschlechter eingrenzt, die klar voneinander trennbar sind. Geschlecht ist allerdings zu groĂen Teilen sozial konstruiert und kulturell geprĂ€gt. Der Zwang alles Menschliche in dieses fundamental binĂ€re System einzuschlieĂen, lĂ€sst keinen Raum fĂŒr Androgynie und Selbstbestimmung.
the differences between genders are much smaller than the differences across the same gender â @ ioannam605 (auf YouTube)
Ăberraschend ist es daher nicht, dass die queere Gaming-Community sich nach DiversitĂ€t und ReprĂ€sentation sehnt. Die Gaming-Industrie âleidetâ wie jede andere an der Krankheit der Profit-Priorisierung. Wie bei den ĂŒblichen Start-Ups mĂŒssen die Investoren davon ĂŒberzeugt werden, dass das zukĂŒnftige Produkt ihnen Profit einbringen wird. Je diverser die Zielgruppe, je gröĂer der Aufwand fĂŒr die Umsetzung, desto gröĂer die Kosten und die Risiken, welche Investoren und alle Involvierten auf sich nehmen. Das Risiko, die Zielgruppe zu erweitern und dadurch bestimmte Fans abzuschrecken, zu enttĂ€uschen und im Endeffekt mögliche KĂ€ufer*innen zu verlieren steht der DiversitĂ€t in der Spielewelt leider oft im Weg. Konfliktvermeidung und Halten von Investor*innen und Kund*innen haben hier oberste PrioritĂ€t. Es spart Kosten und vereinfacht Werbekampagnen.
Die Hoffnung auf weniger einschrĂ€nkende Geschlechterstereotype (als âMarktinnovationâ oder als Nischenprodukt) ist bei jedem neuen groĂen Titel stets da, aber im Endeffekt will die Community einfach keine leeren Versprechen und weniger Tokenismus.
DiversitÀt in Gaming
Cyberpunk 2077 von CD Project RED ist wohl eines der enttĂ€uschendsten Erlebnisse in (queerem) Gaming. Cyberpunk hĂ€tte den perfekten Hintergrund fĂŒr eine queere Storyline abgegeben. Mit dem Slogan âMix it up!â wurde eine dystopische High-Tech-Welt beworben, in der Körpermodifikationen (auch von Geschlechtsorganen/Geschlechtsmerkmalen) möglich sind. Dieser Spruch bezog sich auf ein Poster mit einer femme (weiblich gelesenen) Person in einem eng anliegenden Anzug, deren Penis sofort ins Auge sticht. Nicht die beste Trans-ReprĂ€sentation in der Videospielgeschichte, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Der andere vielversprechende Teil der Werbekampagne schilderte die TIN*-InklusivitĂ€t des Charakter-Editors, durch den Gamer*innen ihre Spielfigur individualisiert gestalten können. Doch im Endeffekt gibt die gewĂ€hlte Stimme das binĂ€re Geschlecht & Pronomen an, keine dey-Auswahl ist vorhanden. Diese Elemente der/des Protagonistin/en sind auch konstant und in der offenen Welt durch Modifikationen im Laufe des Spieles nicht zu verĂ€ndern.
Baldurâs Gate 3 hĂ€tte den Preis fĂŒr DiversitĂ€t und SpaĂ an der Freiheit des DnD-Settings (Dungeons & Dragons) einrahmen können. Variation der GenitaliengröĂe und âbehaarung werden groĂ fĂŒr TIN*-InklusivitĂ€t beworben. Es soll das âWokeâ Spiel des Jahres, wenn nicht der Videospielgeschichte, sein. Allerdings sind die Körper der Protagonist*innen strikt binĂ€r und Androgynie ist nirgends zu finden. Bei der Auswahl eines maskulinen Körpers kann das Gesicht keine femininen ZĂŒge bekommen und umgekehrt. AusschlieĂlich feminine Körpertypen dĂŒrfen BrĂŒste haben. Die weiblichen Körper sind immer kleiner als die mĂ€nnlichen. GroĂe FLINTA existieren wohl nicht in dieser fantastischen Welt.
Saving money is the only valid excuse gaming has for not having a boob slider â meine Bestie
Der Publisher und Spieleentwickler Electronic Arts (EA) hat ĂŒberdurchschnittlich gute Vielfalt der ReprĂ€sentation in seinem bekannten und beliebten vierten Ableger der Lebenssimulationsreihe âDie Simsâ. Die Charaktere (Sims) sind weiterhin zweigeschlechtlich unterteilt, die Körperform kann jedoch (binĂ€r) angepasst werden. Weitere Sim-Anpassung erfolgt durch Auswahlmöglichkeiten zur Schwangerschaft, Klo-Verhalten, Brustmilchproduktion. Die positive Entwicklung zeigt sich bei der freien Definition der Pronomen, Inklusion von Binders & Tucking-UnterwĂ€sche, Freischaltung der Kleidung fĂŒr Unisex und Anpassung der romantischen & sexuellen Orientierung. Hier muss jedoch erwĂ€hnt werden, dass diese Ănderungen von der Sims-Community ĂŒber Jahre hinweg verlangt und hinzugefĂŒgt wurden. Wie in den VorgĂ€ngern der Sims-Reihe, sind die Körper und Gesichter frei zu gestalten. Der Boob-Slider ist vorhanden, begrenzt sich tatsĂ€chlich nur auf den femininen Körpertyp, jedoch kann die Brust auch minimal auf dem maskulinen Körpertyp verĂ€ndert werden.
Gacha-Spiele wiederum, die meistens keine eigene Charaktererstellung bieten, sondern fertige mĂ€nnliche/ weibliche Figuren zur VerfĂŒgung stellen, halten enorm an den binĂ€ren Geschlechterrollen fest. Die âGirlsâ sollen so viel Haut zeigen wie möglich, Hose und AnzĂŒge bleiben (allein) den ,,Boysâ vorbehalten. Das Gacha-Genre wird zu einem groĂen Teil von Entwicklern aus China bespielt und leidet daher unter deren teils queerphoben Gesetzen, die ReprĂ€sentation kaum umsetzbar machen. Somit kann ich diesen Spielen (und ihren Entwicklern) nicht reinen Gewissens Queer-baiting oder ReprĂ€sentation gendernonkonformer Charaktere vorwerfen.
Starfield, getauft als âSkyrim in Spaceâ, schreckt sich ĂŒberraschenderweise nicht vor sichtbaren Hautalterungserscheinungen und bietet sogar ein Netzdiagramm fĂŒr Körperfett- und Muskelmasse. Jedoch mit dem Haken, dass die BrĂŒste unabhĂ€ngig von der KörpergröĂe und abhĂ€ngig von dem âKörpertypâ (1 & 2) sind. Die strikte binĂ€re Vorgabe definiert auch den Gang, Gesichtsbehaarung und allgemeine KörpergröĂe. Mensch kann extrem komplexe Gesichtsstrukturen und Hauttexturen einstellen (die in unserer RealitĂ€t womöglich nicht existieren), aber sich aus der Gender-BinĂ€ritĂ€t in einem Videospiel, das im Weltraum spielt, herauszuwagen geht wohl zu weit. Immerhin ist Make-Up fĂŒr beide Geschlechterrollen erlaubt. Ah ja, und es gibt keinen Boob-Slider, dafĂŒr aber einen âDreck-im-Gesichtâ-Slider âŠ
RealitĂ€tsflucht in die Gaming- & Rollenspielwelt kann schön und gut sein, mensch sollte jedoch bei der ganzen Flucht aus dem Hier und Jetzt das Mensch-Sein trotzdem nicht vergessen. Darstellung dient einem Zweck, wie in allen Medien, HinzufĂŒgen von polarisierenden Aspekten (sei es Gewalt oder FreizĂŒgigkeit) soll einen Grund haben. Leiden, Repression und Trauma sind keine Gimmicks, sondern sensible Themen, welche mit Bedacht und Sorge zu behandeln sind. DiversitĂ€t und ReprĂ€sentation von marginalisierten Menschen sollte somit auch nicht als Selling-Point gelten, um ein Produkt als inklusive/âwokeâ zu verkaufen.
Die meisten dieser groĂen Spieletiteln vermarkten einen diversen, breit gefĂ€cherten Charakter-Editor, in den mensch eine Spielfigur nach eigenen Vorstellung erstellen kann. Es ist quasi möglich, deine Charaktere plastischer Chirurgie zu unterziehen, GesichtszĂŒge und Körperbau nach Lust und Laune zu formen. Allerdings durch das Festhalten an das veraltete Weltbild eines binĂ€ren Geschlechtersystems wird die gestalterische Freiheit des/der Spieler*in eingeschrĂ€nkt und unsere wunderschön diverse Welt kann nie akkurat reprĂ€sentiert werden.