Wie groĂe Konzerne vom NS-Regime profitierten und queere Opfer bis heute vergessen werden
KZ Sachsenhausen 1940. Ein Mann aus Ăsterreich sitzt in StrĂ€flingskleidung wie viele andere an einem kleinen Tisch in einer groĂen Halle. Er verpackt Munition fĂŒr Maschinengewehre, die von den damaligen Unternehmen IG Farben, Siemens oder Krupp fĂŒr die Wehrmacht produziert werden. Der Mann ist jung, gerade erst 23 Jahre geworden und wurde erst letztes Jahr verhaftet, verurteilt und in das Konzentrationslager gebracht. Er verstieĂ gegen den §129 I b des österreichischen Strafgesetzbuchs â spĂ€ter galt fĂŒr ihn der §175 des deutschen Strafrechts, das gleichgeschlechtliche Handlungen unter MĂ€nnern unter Strafe stellte. Deshalb trĂ€gt der Mann, der da an seinem kleinen Tisch in einer der Hallen des Lagers sitzt, den Rosa Winkel auf der linken Brustseite seiner Kleidung â ein Zeichen seines âVerbrechensâ, das ihn zum Ziel besonderer Ausgrenzung auch innerhalb des Lagers macht. 1945 gelang dem jungen Ăsterreicher nach einem Todesmarsch von FlossenbĂŒrg ins KZ Dachau die Flucht. Als der Krieg langsam zu Ende ging, versuchten die Nationalsozialisten Beweise so schnell wie möglich zu vernichten, das betraf Dokumente, Einrichtungen â und Menschen.
Der Mann dieser Geschichte heiĂt Josef Kohout. Nach seiner Zeit im Gefangenenlager berichtete er in seinem Buch âDie MĂ€nner mit dem Rosa Winkelâ von seiner Gefangenschaft und schaffte zum ersten Mal einen umfassenden Bericht einer queeren Person, die von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager gebracht wurde. Ein wichtiger historischer Einblick, besonders fĂŒr die LGBTQIA+ Community.
Diese Geschichte ist vor nun 80 Jahren passiert. Neben Kohout gibt es noch unzÀhlige queere Menschen, die verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt wurden und Zwangsarbeit verrichten mussten. UnzÀhlige Menschen, die dort begraben wurden. UnzÀhlige Geschichten, die mit den Menschen unter der Erde verloren gingen. Zahlreiche Unternehmen, die durch die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten wesentlich profitierten und leider auch viele Unternehmen, die die Aufarbeitung lange hinauszögerten oder gar verweigerten.
Mit Zwangsarbeit zum Erfolg
Viele der heutigen Nachfolgeunternehmen begannen erst Jahrzehnte spĂ€ter mit der kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Rolle im NS-System â hĂ€ufig erst auf öffentlichen Druck hin. Die IG Farben etwa, ein Chemiekonzern, der unter anderem Zyklon B lieferte, betrieb in Auschwitz ein eigenes KZ-AuĂenlager (Monowitz). Nach dem Krieg wurde der Konzern zerschlagen. Doch seine wirtschaftlichen Erben existieren bis heute â unter anderem in Form von Bayer, BASF oder Sanofi. Ăhnlich verhĂ€lt es sich mit der Firma Krupp, einem GroĂproduzenten von Waffen und KriegsgerĂ€t, der Zwangsarbeiter*innen einsetzte und heute im Konzern ThyssenKrupp aufgegangen ist. Auch Siemens, damals wie heute einer der gröĂten deutschen Konzerne, profitierte massiv vom NS-System und beschĂ€ftigte zehntausende Zwangsarbeiter*innen in seinen Werken â auch wenn sich das Unternehmen heute teilweise dieser Geschichte gestellt hat. Unter den Zwangsarbeiter*innen befanden sich auch viele queere Menschen, die nicht selten auch ihren Tod in den Arbeitslagern gefunden haben.
Das Schweigen danach
Die allgemeine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gewisser Firmen beziehungsweise ihrer Rechtsnachfolger verlief nach 1945 sehr lĂŒckenhaft. Eine Beteiligung an der Erhaltung des menschenfeindlichen Regimes wurde meist abgetan, Dokumentationen eventueller groĂer Parteispenden an die NSDAP geschwĂ€rzt. Es darf bei allen Pride Kollektionen, EinfĂ€rben der Social Media Profile in Regenbogenfarben und Spenden an queere Projekte nicht vergessen werden â viele dieser Konzerne haben in der Vergangenheit mit ganz anderen Menschen zusammengearbeitet.
NatĂŒrlich haben viele Unternehmen eine unrĂŒhmliche NS-Vergangenheit und sehen die Rechte von queeren Menschen heute als âwichtigen Teil der Firmenphilosophieâ. Zum GlĂŒck. Unternehmen stĂ€ndig auf das zu reduzieren, was sie zwischen 1933 bis 1945 getan und wen sie unterstĂŒtzt haben, wĂ€re natĂŒrlich unfair. Aber! Es geht auch um die Zeit nach dem NS-Regime. Um die Aufarbeitung der Vergangenheit beziehungsweise die Nicht-Aufarbeitung. Um das ohrenbetĂ€ubende Schweigen, als es darum ging, wie sie das System aufrechterhielten und auch selbst davon profitierten. Als es um eine Zeit ging, in der sie JĂŒd*innen, Roma & Sinti, sogenannte âAsozialeâ und queere Menschen fĂŒr sie kostenlos als Zwangsarbeiter*innen beschĂ€ftigten. Bei aller UnterstĂŒtzung und SolidaritĂ€t mit der queeren Community scheint das ehrliche und konsequente Aufarbeiten der eigenen Vergangenheit keine hohe PrioritĂ€t zu sein.
Selektive SolidaritÀt
Heute geben sich viele der betroffenen Firmen queerfreundlich. Das ist zunĂ€chst eine positive Entwicklung. Doch zwischen Symbolik und Substanz klafft oft eine LĂŒcke. Das Schweigen ist teilweise bis heute noch prĂ€sent. Adidas zum Beispiel tritt in Europa schon seit einiger Zeit mit Regenbogen-Produkten und groĂen Kampagnen auf. 2018 war Adidas Sponsor der FuĂball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland â einem Land mit einer extrem restriktiven Gesetzeslage in Bezug auf queere Rechte. Ein anderes bekanntes Beispiel ist Amazon. Im Pride Month wirbt der Konzern mit einer groĂen Palette an Regenbogenartikel â besonders in den USA unterstĂŒtzt Amazon politische Aktionskomitees, die sich gegen trans Menschen und nicht-binĂ€re Menschen einsetzen.
Unternehmen wie BMW, Mercedes oder Nestlé fÀrben im Juni ihre Social Media Profile schön in Regenbogenfarben ein, um ihre SolidaritÀt zu bekunden. Aber oft nur in europÀischen oder nordamerikanischen Staaten. In LÀndern wie Saudi-Arabien oder Russland verzichtet man lieber auf diese SolidaritÀtsbekundung. SolidaritÀt mit der queeren Community hört offenbar bei bestimmten Staatsgrenzen auf. Schweigen besteht bis heute, nur oft in anderen Teilen der Welt.
Pride sind wir
Ăber die Jahre bildete sich eine starke Erinnerungskultur. Rosa-Winkel-Gedenksteine, Stolpersteine, queere Gedenkinitiativen, NGOs und Vereine sorgen dafĂŒr, dass Geschichten queerer Menschen im Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten. Menschen auf der ganzen Welt engagieren sich fĂŒr die queere Community â damals wie heute.
Pride ist nicht die Schaufensterdeko multinationaler Konzerne. Pride sind nicht die Unternehmen, die einmal im Jahr eine Regenbogenkollektion in ihren Auslagen anbieten. Ihre finanzielle und öffentlichkeitswirksame UnterstĂŒtzung bei AufklĂ€rungsprojekten und Pride-Paraden heute ist richtig und wichtig. Trotzdem sind Konzerne nicht das Herz und die Seele der queeren Bewegung. Wirtschaftlich orientierte Akteure sind nicht Pride.
Pride sind wir. Die, die auf Pride-Paraden Farbe bekennen. Die, die jeden Tag mit Menschen ĂŒber queere Rechte diskutieren. Die, die aufklĂ€ren und bilden in Schulen, Unternehmen und sozialen Einrichtungen. Und besonders auch die, die in LĂ€ndern wissentlich eine Verhaftung in Kauf nehmen, wenn sie fĂŒr queere Sichtbarkeit demonstrieren. Wir können heute am Beispiel der USA beobachten, wie Queerfreundlichkeit und DiversitĂ€t groĂer Konzerne unter politischem Druck oder unter wirtschaftlichen AbwĂ€gungen schwinden. Aber wir, die Menschen, werden immer da sein, um die Regenbogenflagge zu hissen.
Text von Sebastian BrandstÀtter und Florian Niederseer