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Community & Politik

Wen wählen?


Über die Wiener LGBTIQ-Politik der letzten Jahre und was daraus folgt

Die Gemeinderatswahl steht vor der Tür, das war schon während des Corona-bedingten Lockdowns im Frühjahr zu merken, als ÖVP-Innenminister Karl Nehammer ebenso penetrant wie faktenbefreit Wien und die Wiener*innen als Corona-Herd brandmarken wollte – natürlich ungeachtet der Tatsache, dass die Stadt Wien bereits Ende Jänner einen Krisenstab zu Corona eingerichtet hatte. In Wien tagte also schon seit Wochen ein Krisenstab, während man in Ischgl noch mit der Vertuschung der Ansteckung halb Europas beschäftigt war. Dazu war Nehammer übrigens auffallend wortkarg. Wie der ehemalige Bürgermeister Michael Häupl einmal so treffend bemerkte: Wahlkämpfe sind Zeiten fokussierter Unintelligenz.

LGBTIQ – das ist nicht alles, was wir sind, aber es gehört zu allem, was wir sind

Wo es allerdings keinen Kompromiss geben kann, ist die Anerkennung unserer grundlegenden Rechte und Menschenwürde als LGBTIQ-Personen. Wie es schon im Leitbild der HOSI Wien heißt: „[D]as ist nicht alles, was wir sind, aber es gehört zu allem, was wir sind.“ Deshalb macht es Sinn, sich die LGBTIQ-Politik in Wien der letzten fünf Jahre anzusehen – und vielleicht ist das ja eine kleine Entscheidungshilfe für den*die eine*n oder andere*n, der*die noch in der Wahlentscheidung schwankt.

Wobei eine Bilanz dieser Politik nicht so schwierig ist, denn die Stadt Wien steht seit vielen Jahren stark und glaubwürdig an der Seite der LGBTIQ-Community. Die Liste der Beispiele dafür ist lang: Seit vielen Jahren wird im Juni zur Vienna Pride am Rathaus die Regenbogenfahne gehisst, seit der EuroPride Vienna 2019 auch an zahlreichen anderen städtischen Einrichtungen und Unternehmen, hohe Vertreter*innen Vertreter*innen der Stadtregierung nehmen an Vienna Pride und zahlreichen anderen Community-Veranstaltungen teil und unterstützen unsere politischen Forderungen, der Queere Kleinprojektetopf fördert kleine LGBTIQ-Projekte und zusätzlich gibt es regelmäßige Basissubventionen für zahlreiche Vereine unserer Community, und 2010 wurde die Eingetragene Partnerschaft nirgendwo so umfassend gleichwertig zur Ehe umgesetzt wie in Wien.

Verlässliche Finanzierungen unabhängiger LGBTIQ-Vereine und -Projekte

Dies hat sich auch in den letzten Jahren fortgesetzt, und zwar nicht nur anhand etablierter Strukturen, sondern es wurde auch auf zusätzlichen Bedarf reagiert. Nachdem etwa 2015 u.a. zahlreiche LGBTIQ-Flüchtlinge nach Wien kamen, wurde die Queer Base finanziell unterstützt, um diese professionell betreuen zu können. Besonders positiv ist hier, dass die Stadt Wien nicht nur die finanzielle Unterstützung leistet, sondern insbesondere unabhängige NGOs beim Leisten dieser wichtigen Arbeit unterstützt, statt etwa selbst neue Strukturen abseits der Community zu schaffen. Das hilft nicht nur dem unmittelbaren Anliegen, weil so viel mehr Expertise zur Verfügung steht, sondern schafft auch eine starke Selbstorganisation unserer Community und Vertrauen in die Politik, die damit zeigt, dass es ihr wirklich um die Sache geht.

Apropos finanzielle Unterstützung für die Community: Diese ist nicht so selbstverständlich, wie man vielleicht meinen könnte. Im Jänner 2016 stimmte die Wiener ÖVP unter ihrem Landesparteiobmann Gernot Blümel gegen die jährliche Subvention von € 21.000,- der HOSI Wien. Zum Glück kam es auf sie nicht an und die Förderung wurde mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und NEOS beschlossen – die FPÖ stimmt ohnehin seit Jahr und Tag gegen alles, was mit LGBTIQ-Anliegen zu tun hat. Allerdings ist die ÖVP Wien seither in sich gegangen und hat in den letzten Jahren wieder regelmäßig für die Förderung der HOSI Wien gestimmt.

Anders als bei der Förderung für die EuroPride Vienna 2019, da stimmte die ÖVP, wiederum gemeinsam mit der FPÖ, 2018 im Gemeinderat dagegen. Dafür wollte die Junge ÖVP Wien letztes Jahr dann an der Regenbogenparade teilnehmen – nachdem sie sich nie auch nur milde kritisch gegenüber der LGBTIQ-Politik ihrer Mutterpartei zu Wort gemeldet hatte. Das haben wir dann, nach Diskussion und eingehender Prüfung, abgelehnt.

Umfassende Unterstützung für die EuroPride Vienna 2019

Die EuroPride Vienna 2019 selbst war dann dafür ein Beispiel, wie wichtig der Stadtregierung aus SPÖ und Grünen unsere Community ist: Neben € 900.000,- Förderung unterstützte sie die EuroPride – koordiniert von Regenbogen-Stadtrat Jürgen Czernohorszky – an den verschiedensten Ecken und Enden, sei das durch regenbogenfarbige Blumenbeete des Stadtgartenamts über die Beflaggung aller Magistrate mit der Regenbogenfahne bis hin zur gemeinsamen Organisation der EuroPride-Konferenz im Rathaus und die kühlenden Wasser-Sprühern am Hitzetag der Regenbogenparade. Dass bei quasi jedem relevanten Event in diesen über zwei Wochen Stadträt*innen, von Jürgen Czernohorszky über Kathrin Gaal und Ulli Sima bis hin zu Peter Hacker, anwesend waren und sich zu unseren Anliegen bekannten und uns ihrer Unterstützung versicherten, ist nicht zuletzt ein Versprechen, an dem wir als Community die Stadtpolitik messen dürfen und werden. Das stärkste Bekenntnis der Stadt war dann Bürgermeister ­Michael Ludwigs Rede bei der Abschlusskundgebung auf dem Rathausplatz nach der Regenbogenparade, in der er sagte: „Liebe ist frei, und dafür werden wir uns einsetzen.“

Er hatte sich übrigens im Mai 2019 extra Zeit genommen, um ausführlich mit uns über die EuroPride und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und für Wien zu sprechen, aber auch das von uns kritisierte Treffen des homophoben serbischen Politikers Dragan „Palma“ Marković und eine mögliche Rolle Wiens bei der Öffnung der Ehe für binationale gleichgeschlechtliche Paare zu diskutieren. Außerdem hat er bereits 2018 an unserem temporären Mahnmal-Ort im Pride Village einen Kranz für die Opfer von LGBTIQ-Feindlichkeit niedergelegt. So viel Bewusstsein ist nicht selbstverständlich.

Permanentes Mahnmal für Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung kommt

Das Bewusstsein für die Geschichte der Verfolgung unserer Community zeigt sich auch darin, dass jetzt endlich das permanente Mahnmal für Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden, umgesetzt wird. Nachdem es ursprünglich 2005 angekündigt wurde, der damalige Siegerentwurf allerdings nicht umgesetzt werden konnte, glaubten viele schon nicht mehr daran. Dass es nun einen neuen Anlauf und einen neuen, gelungenen Siegerentwurf gibt, ist eine Geste des Respekts und der Anerkennung von LGBTIQ-Menschen: Wenn es dann steht, wird es das erste Mahnmal dieser Art in Österreich sein, das von der öffentlichen Hand errichtet wurde – und wird ein sichtbares Zeichen, dass ehrenamtliches Engagement viel bewirken kann und es sich lohnt, an Anliegen, die einem wichtig sind, dranzubleiben

Diese konsequente Arbeit der Stadt Wien für die Community ist natürlich nicht das Werk von einer Person alleine, sondern von vielen: Für die Koordination der LGBTIQ-Politik ist Stadtrat Czernohorzsky (SPÖ) verantwortlich, im Gemeinderat sind ­Marina Hanke und Stephan Auer-Stüger von der SPÖ, Jennifer Kickert und Peter Kraus von den Grünen sowie Thomas Weber von den NEOS engagierte AnsprechpartnerInnen für die Community. Letzterer wird nach der Wahl aber wahrscheinlich nicht mehr im Gemeinderat sein, da er bei den NEOS nur auf Platz 8 der Landesliste nominiert wird – wir hoffen, dass deren in den letzten Jahren aktive LGBTIQ-Arbeit damit nicht wieder erlahmen wird. Beispielsweise gab es im Gemeinderat dieses Jahr eine Resolution, die von SPÖ, Grünen und NEOS beschlossen wurde und die die Bundesregierung aufforderte, für vollen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, also das sogenannte „Levelling-up“ zu sorgen. Das war vor allem von den NEOS ein wichtiger Schritt, da diese auf Bundesebene bisher keine eindeutige Position zu diesem Thema haben.

Queeres 
Jugendzentrum beschlossen

Auch im heurigen Beschluss der Wiener Kinder- und Jugendstrategie hat sich die Bedeutung der fortschrittlichen Mehrheit gezeigt: Darin wurde die Schaffung eines Queeren Jugendzentrums beschlossen. Das ist für die ganze Wiener LGBTIQ-Bewegung ein Erfolg, für den nicht zuletzt wir von der HOSI Wien seit Jahren viele Gespräche geführt haben. Jetzt kommt es noch auf die Umsetzung an, dass diese gemeinsam mit der LGBTIQ-Community erfolgt, damit aktuelle Entwicklungen innerhalb der Community laufend mit einbezogen werden, die Unabhängigkeit dieser Institution von politischen Wechselspielen gewährleistet ist und ein wirklich maßgeschneidertes Angebot geschaffen werden kann. Als HOSI Wien haben wir der Stadt natürlich unsere Zusammenarbeit dafür angeboten, da wir mit unserer Jugendgruppe jahrzehntelange Erfahrung mit niederschwelliger LGBTIQ-Jugendarbeit haben.

Eine Zusammenarbeit, die sich immer wieder aufs Neue bewährt, wie man auch bei unserem jüngsten Projekt, FLAGincluded gesehen hat: Jugendliche von uns hatten die Idee, an Schulen heranzutreten, damit diese im Pride-Monat die Regenbogenfahne hissen. Kurz und gut: Unsere Jugendlichen haben es organisiert, gut 30 Schulen waren mit an Bord, um ihren LGBTIQ-Schüler*innen zu zeigen, dass sie hinter ihnen stehen, und die Wiener Antidiskriminierungsstelle (WASt) war als Projektpartnerin mit an Bord zur fachlichen Unterstützung hinsichtlich der Schulverwaltung und nicht zuletzt zur Finanzierung der Fahnen, für die die dafür aufgebrachten Spenden alleine nicht ausgereicht hätten.

Es kommt auf die Mehrheiten an

Ist damit alles schon perfekt in Wien? Natürlich nicht. Es ist zum Beispiel sehr schade, dass für eine Fortführung des Life Balls keine Lösung gefunden werden konnte. Und auch die Community wächst, die Pride noch mehr, und damit auch der Bedarf an professioneller Arbeit, die eben erst finanziert werden muss. Und natürlich ist es gerade für uns als unabhängige NGOs in der Wiener Community immer eine Gratwanderung zwischen der guten Zusammenarbeit einerseits, einer professionellen Distanz aber andererseits, um einzelne Fehlentwicklungen trotzdem kritisch zu diskutieren, wie eben im Fall Marković. Um darüber dann offen sprechen zu können, sind jahrelange gute Erfahrungen eine solide Basis.

Und man sieht, dass es darauf ankommt, starke, unzweifelhaft LGBTIQ-freundliche Mehrheiten im Gemeinderat zu haben. Im Nationalrat gibt es seit 1983 durchgehend Mehrheiten rechts der Mitte, und so geht nur selten etwas im Parlament für unsere Anliegen weiter. Auch die Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung hat daran nichts geändert. Ihre guten Absichten für die Community sind zwar zweifellos, gegenüber ihrem großen Koalitionspartner haben sie dann aber schlichtweg Prioritäten setzen müssen. In Wien ist die Lage genau umgekehrt, hier haben wir seit Jahrzehnten fortschrittliche Mehrheiten. Das wird sich wohl auch mit dieser Wahl nicht ändern. Bleibt zu hoffen, dass sich danach keine Koalition bildet, an der die Wiener ÖVP beteiligt ist und ein ähnlicher LGBTIQ-Bremsklotz wie im Bund sein kann. Die verlässlich gegen LGBTIQ-Menschen Politik machende FPÖ hat sich ja seit Ibiza ohnehin selbst erledigt, als sie wieder mal ihr wahres Gesicht gezeigt hat.

Als LGBTIQ-Community wissen wir, was es heißt, missachtet zu werden. Wir merken uns also umso genauer, wer an unserer Seite steht und etwas für uns getan hat. Daran werden wir uns auch bei der Gemeinderatswahl erinnern – jede Stimme zählt. λ

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe