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Die Sehnsucht nach einem schönen Körper

Ab wann wird Eitelkeit zum Problem?

Es ist völlig normal, attraktiv sein zu wollen und Wert auf körperliche Fitness zu legen. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung sind grundsätzlich gesundheitsfördernd. Doch aus dem Wunsch, hübsch auszusehen, kann sich schnell ein gefährlicher Schönheitswahn entwickeln, der Betroffene einem hohen inneren Druck aussetzt und erhebliches Leid verursachen kann.

Gerade bei schwulen Männern scheint der Wunsch nach äußerlicher Attraktivität besonders ausgeprägt zu sein. Zahlreiche Studien und Artikel legen nahe, dass schwule Männer im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen häufiger danach streben, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. In einer Umfrage des Magazins Attitude gaben 84 % der Befragten an, unter starkem Druck zu stehen, einen attraktiven Körper zu haben. Noch alarmierender ist, dass schwule Männer etwa 42 % der männlichen Essstörungsfälle in den USA ausmachen (vgl. National Eating Disorder Association), was auf eine besondere Anfälligkeit für Körperunzufriedenheit und gestörtes Essverhalten hinweist.

Der Drang zur körperlichen Perfektion führt oft zu einem übermäßigen Fokus auf Fitness und Ernährung. Viele Betroffene konzentrieren sich stark auf Muskelaufbau, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Ein wesentlicher Faktor ist der sogenannte „muscle distress“ (Begriff von Psychology Today): Dabei handelt es sich um eine verzerrte Körperwahrnehmung, bei der Männer trotz intensiven Trainings das Gefühl haben, nicht muskulös genug zu sein oder gar einen schlechten Körper zu haben. Diese ständige Unzufriedenheit mündet oft in noch exzessiveres Training und strenge Diäten, die schnell in ungesunde Muster übergehen können. „Muscle distress“ führt häufig zu einer regelrechten Besessenheit von einem als ideal empfundenen Körperbild. Da dieses Ideal in der Selbstwahrnehmung jedoch meistens unerreichbar bleibt, entsteht ein Teufelskreis aus Selbstzweifeln und weiteren Perfektionierungsversuchen.

Woher kommen diese Gefühle?

Es ist recht leicht sich vorzustellen, warum Menschen grundsätzlich einen schönen Körper haben wollen. Doch warum scheint der Wunsch nach Perfektion bei schwulen Männern besonders ausgeprägt zu sein? Oft steht er im Zusammenhang mit einer unbewussten Angst vor Ablehnung, verstärkt durch Diskriminierungserfahrungen und internalisierte Homophobie. Zusätzlich wird leider auch innerhalb der schwulen Szene oftmals das Gefühl vermittelt, einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen. Dieser Druck erzeugt zusätzlichen Stress. Das äußere Erscheinungsbild wird zum Maßstab für den eigenen Wert, was den Wunsch nach einem „perfekten“ Körper weiter verstärkt.

Auch soziale Medien und Dating-Apps schaffen einen visuellen Wettbewerb, der dazu drängt, dem Idealbild eines attraktiven Mannes zu entsprechen. Plattformen wie Grindr fördern Vergleiche und verstärken die Vorstellung, dass Anerkennung von äußerlicher Attraktivität abhängt. Für viele führt das zu Minderwertigkeitsgefühlen und beeinträchtigt die psychische Gesundheit.

Das Zusammenspiel all dieser Einflüsse kann zu einem pathologischen Schönheitswahn führen, der mit negativen Folgen wie sozialem Rückzug sowie der Entwicklung von Depressionen und Angststörungen einhergehen kann.

Betroffene können jedoch Wege finden, um aus dieser Gedankenspirale auszubrechen und ein gesundes Körperbild zu entwickeln. Unter anderem kann therapeutische Unterstützung dabei helfen, negative Denkmuster zu erkennen. Zudem kann ein bewusster Umgang mit sozialen Medien und das Entfolgen unrealistischer Schönheitsvorbilder den Druck verringern, bestimmten Idealen entsprechen zu müssen. Letztlich ist es wesentlich, dass Betroffene lernen, den Selbstwert auf mehr als nur äußere Merkmale zu stützen.

Von Michael Stromenger

Sozialarbeiter in Wien