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„Inter“-was?

Warum ein „I“ alleine nicht genug ist!

Community bedeutet ganz viel für alle Menschen, die in irgendeiner Weise stigmatisiert und marginalisiert werden. Sie bedeutet mehr als wahrgenommen zu werden – in ihr fühlen wir uns „endlich“ verstanden, akzeptiert und unterstützt. Die LGBTIQA*-Community ist groß und vereint viele Farben und das ist gut so. Die Inter*-Bewegung hat unter anderem den vorangegangenen Kämpfen von LGBTQA*-Aktivist*innen einiges zu verdanken. Was uns im Positiven als übergreifende Community vereint, vereint uns auch im Negativen: Wir sind diejenigen, die angeblich nicht zur gesellschaftlichen Norm rund um(s) Geschlecht gehören. Sei es wegen unserer Körper, unserer Identitäten, unserer Verhaltensweisen, unserer diversen Begehren…

Das „I“, das für „Intergeschlechtliche“ (engl. intersex) steht, wird nun schon seit vielen Jahren in der Sprache inkludiert. Das ist definitiv wichtig und erreicht erste Aufmerksamkeit. Aber wie sieht es denn darüber hinaus aus? Heißt das, zu wissen, was Intergeschlechtlichkeit ist? Dass intergeschlechtliche Menschen wirklich eingebunden sind, ihre Themen in der Diskussion vorkommen? Dass es in Lokalen, auf Veranstaltungen Bewusstsein für inter*-sensiblen Umgang gibt? Fragen, die mir oft begegnen sind: „Wie sollen Intergeschlechtliche nun angesprochen werden?“ „Braucht es jetzt ein eigenes Klo?“ „Wozu gibt es jetzt 6 Geschlechtseinträge?“

Wisst ihr, dass sich Inter*-Aktivismus für die körperliche Selbstbestimmung einsetzt?

Alle Fragen sind wichtig. Und ich beantworte sie auch gerne. Aber zugegebenermaßen, das Tabuisieren des letzten Jahrhunderts war leider sehr erfolgreich. Seit durch die Experimente von Dr. John Money, in Kombination mit den technischen Möglichkeiten der Medizin, die Geschlechtsmerkmale von Kindern in weibliche oder männliche Normvorstellungen „angepasst“ werden konnten, ist die Unsichtbarmachung von vielfältigen Körpern eine traurige und gewaltvolle Routine. Seit über 20 Jahren berichten erwachsene inter* Menschen, wie sie diese irreversiblen operativen und/oder hormonellen Eingriffe in ihre Körper erleben bzw. erlebt haben. Ich schreibe erleben, weil posttraumatische Belastungen Realität sind – psychisch, aber auch körperlich. Viele sagen: ich war nicht krank, ich wurde erst krank gemacht. Und das ist das Schreckliche, diese medizinischen Eingriffe sind meist gesundheitlich nicht notwendig. Sie dienen Vorstellungen davon, wie Kinder in dieser Gesellschaft aufwachsen sollen und was ihrem „Wohle“ dient. Oft wird ein Schutz vor Hänseleien vorgeschoben oder davon ausgegangen, dass wir in unseren „abweichenden“ Körpern nicht glücklich werden könnten. Auch die Annahme darüber, wie ein späteres Sexualleben stattfinden wird, nämlich heterosexuell-penetrativ, genügt, um Genitalien zu modifizieren. Und ja, das passiert heute immer noch. Heute wird es den Kindern gegenüber nur nicht mehr komplett verschwiegen. Und ja, es ist nicht leicht für Eltern, wenn sie mit Informationen überfordert, mit Entscheidungen konfrontiert werden und damit alleine sind, mit Entscheidungen, die nicht mal die ihren sein dürfen – sondern die ihrer Kinder, wenn sie viel später entscheidungsfähig dazu sind.

Inter-Soli-Demonstration 2016 Wien (Foto: VIMÖ)
Inter-Soli-Demonstration 2016 Wien (Foto: VIMÖ)

Oft steht das „I“ eher für „invisible“, besser wäre „invincible“!

Eltern müssen gestärkt werden, ihre Kinder gestärkt aufwachsen zu lassen. Ein intergeschlechtliches Kind ist genauso wunderbar, wie jedes andere! Daher schmerzt es oft, wenn ich in der LGBTQA*-Community auf Ignoranz stoße, da es die Community ist, die auch Pathologisierung, Folter und Unterdrückung überwinden musste und immer noch muss. Das zeigt sich mitunter, wenn Witze über Genitalien oder andere Geschlechtsmerkmale gemacht werden. Oder Geschlechtsidentitäten nicht respektiert werden. Wenn Leute immer noch glauben, dass alle Frauen XX und alle Männer XY-Chromosomen haben. Wenn Dating innerhalb der Community mehr mit Angst und Stress behaftet ist, statt mit Lust und Offenheit – oder umgekehrt, wenn wir „nur“ eine Neugierde oder einen Fetisch befriedigen, aber für Beziehungen nicht interessant sind. „Inter-was?“ höre ich auch an Orten, wo das „I“ mit drauf steht.

Gleichzeitig hat sich die letzten Jahre sehr viel getan, die Inter*-Community und VIMÖ haben so viel Unterstützung erhalten. Sei es, dass sich Politiker*innen aus der LGBTIQA*-Community für unsere Forderungen stark machen, Spenden und Förderungen unsere Arbeit ermöglichen, die zahlreiche Organisierung unserer Vorträge und Aufklärungsarbeit oder die verbündeten Fürsprecher*innen unserer Menschenrechtsanliegen, die in ihren Bereichen wichtige Impulse setzen – weil sie erkannt haben, wie dringend der Handlungsbedarf und aktive Solidarität sind.

Ich bin inter* UND Ally.

Ich habe keine medizinischen Eingriffe in meinen Körper, in mein Geschlecht erfahren müssen. Ich wurde allerdings sozial und medizinisch massiv unter Druck gesetzt, meine Geschlechtsmerkmale anzupassen und zu verstecken – gerade als junge Person ist das so hart und isolierend, ja, zerstörerisch. Und wofür? Für eine geschlechtliche Zwangsordnung, von der ich was genau habe? Schein-Akzeptanz? Ich hatte einerseits Glück, weil ich meine Variation gut verstecken konnte und mich erst Anfang 20 ins Krankenhaus zu den Untersuchungen meiner „Symptome“ begeben habe. „Das ist nicht normal.“ „Seit wann haben Sie das?“ „Sie können Krebs haben!“… zu diesen Aussagen die verstörten und angewiderten Blicke der Mediziner*innen. Ich hatte davor schon erfahren, was es bedeutet, jeden Tag für mein Aussehen verachtet, diskriminiert, attackiert zu werden. Aber ich wusste, der Fehler liegt nicht bei mir. Mein Widerstand war bereits erwacht und ich sah nicht ein, warum ich als weniger wert, falsch oder krank gelten sollte.

Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist keine Utopie, es ist ein Menschenrecht.

Ich möchte euch anregen, euch mehr mit unserer Bewegung zu beschäftigen, mit unseren Erfahrungen und Kämpfen. Es klingt kitschig, aber es ist wahr: gemeinsam sind wir stärker! Aber dazu müssen wir einander zuhören, uns kennenlernen und auch erkennen, was die Probleme sind und wie wir uns gegenseitig unterstützen können. Denn wir brauchen einander.

Inter-Block beim CSD Salzburg 2020 - (c) VIMÖ
Inter-Block beim CSD Salzburg 2020 – (c) VIMÖ

Dazu passend möchte ich meinen Beitrag mit der Rede meiner Kolleg*innen Magdalena Klein und Tobias Humer beim CSD Salzburg 2020 schließen – einer der wenigen Paraden, die letztes Jahr stattfinden konnten. Ein wichtiger Moment also für uns:„

Let’s get loud!

Das diesjährige Motto des CSD Salzburg könnte auch das langjährige Motto der Inter*-Bewegung sein. Seit Ende der 90er machen intergeschlechtliche Menschen weltweit auf sich aufmerksam – einerseits, um die krasse Diskriminierung und die Menschenrechtsverletzungen aufzuzeigen, denen wir Tag für Tag begegnen – und andererseits einfach, um überhaupt auf unsere Existenz hinzuweisen. Viele Menschen wissen noch immer nicht, wie vielfältig Geschlechtsmerkmale gestaltet sein können – und welche Maßnahmen sich unsere Gesellschaft einfallen hat lassen, um diese Vielfalt zu verstecken.

In Österreich ist das Bewusstsein für die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen in den letzten Jahren massiv gestiegen. Aber auch nach der vielbeachteten Einführung des dritten Geschlechtseintrags 2018 hat die Politik weiterhin viel zu tun: noch immer werden intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche nicht-konsensuellen chirurgischen und hormonellen Behandlungen unterzogen, nur um sie den Normvorstellungen von männlichen oder weiblichen Körpern anzupassen – um nur einen von vielen Missständen zu nennen.

Auch in der bunten queeren Community ist es noch keine Selbstverständlichkeit, dass intergeschlechtliche Menschen sich verstanden und willkommen fühlen können – Exotisierung, Interphobie oder schlichtes Unwissen begegnen uns auch hier leider oft. Trotzdem sehen wir uns aber GANZ KLAR als ‚Teil des Regenbogens‘ und möchten auch Danke sagen für die grandiose Unterstützung, die wir von Anfang an in dieser Community erfuhren! […]

Let’s stay loud together!!”

Von Tinou Ponzer

Obmensch Stellvertreter*in VIMÖ (www.vimoe.at)