Eine übersehene Gruppe innerhalb der Community
Die queere Community hat in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Fortschritte gemacht, indem sie eine breite Palette von Angeboten für unterschiedliche Bedürfnisse und Identitäten geschaffen hat. Beratungsstellen sowie Community Center bieten Unterstützung für junge Erwachsene, exklusiv für Frauen* oder Männer, sowie für trans- und non-binäre Personen an. Selbst für spezifische Problemstellungen wie Chemsex existieren bereits Hilfsangebote. Dieses vielfältige Spektrum reflektiert die facettenreichen Erfahrungen und Herausforderungen, mit denen die Mitglieder der LGBTIQ+-Community konfrontiert sind.
Trotz dieser beeindruckenden Fortschritte scheint eine Gruppe oft im Schatten zu stehen: Ältere queere Menschen. Queere Pensionist*innen sind nicht nur von den positiven Entwicklungen der letzten Jahre oftmals abgeschnitten, sondern zusätzlich sind ihre Lebenserfahrungen geprägt von Zeiten, in denen die Akzeptanz queerer Lebenswelten noch in den Anfängen steckte.
Narben aus der Vergangenheit und Einsamkeit
Die Lebenswege älterer queerer Menschen sind geprägt von vielfältigen Herausforderungen, die sie im Laufe der Zeit durchlebt haben. Unerfüllte Wünsche, Sehnsüchte nach nie erfahrener Liebe und Traumata aus der Vergangenheit sind nur einige Aspekte, mit denen sie häufiger konfrontiert sind als nicht-queere Senior*innen.
Die Belastungen aus der Vergangenheit werden besonders deutlich in der Auseinandersetzung mit der AIDS-Krise, in der queere Menschen nicht nur mit der Angst vor einer tödlichen Krankheit konfrontiert waren, sondern auch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung. Diese schwierigen Zeiten haben tiefe Narben hinterlassen, die ältere queere Menschen bis heute tragen. HIV ist mittlerweile eine behandelbare Krankheit geworden, doch die damals erlebte emotionale Isolation tragen viele mit sich noch heute herum.
Es ist unbestreitbar, dass der Fokus stärker auf die Bedürfnisse und Geschichten dieser oft übersehenen Gruppe gelenkt werden sollte. Es sollten gezielte Angebote für ältere queere Menschen geschaffen werden, um eine unterstützende und inklusive Umgebung zu gewährleisten. Doch nicht nur die Anerkennung ihrer Erfahrungen und die Würdigung ihrer Lebensgeschichten sind entscheidende Schritte, sondern auch die Schaffung neuer Begegnungsräume. Ein besonders häufig auftretendes Problem in dieser Altersgruppe ist nämlich die Einsamkeit.
Impulse aus unseren Nachbarländern für die Schaffung neuer Angebote
Im „Lebensort Vielfalt“ in Berlin befindet sich die europaweit erste betreute Wohngemeinschaft für schwule Männer mit Pflegebedarf. In der betreuten WG leben acht schwule Männer mit Pflegebedarf und/oder Demenz zusammen und werden rund um die Uhr von einem Pflegedienst sowie der Schwulenberatung Berlin betreut. Das Projekt ist derweil zwar einzigartig, jedoch wird auch in Zürich durch den Verein „queerAltern“ der Bau eines queeren Senior*innenzentrums initiiert.
In Österreich leben geschätzt wohl mehrere hunderttausend queere Senior*innen, allerdings gibt es bis dato keine vergleichbaren Unterstützungsangebote. Im Café Gugg, dem Vereinszentrum der HOSI Wien, gibt es immerhin jeden dritten Dienstag eine Gruppe für Menschen, die älter als 50 sind. Die „50+ Prime Timers“ treffen sich jeden dritten Dienstag im Monat ab 19 Uhr. Aufgrund des offensichtlichen Mangels an Angeboten für diese Altersgruppe der LGBTIQ+-Community, versucht die HOSI Wien auch die Interessen dieser Generation zu vertreten. Allerdings kann ehrenamtliches Engagement allein nicht professionelle Beratungs- und Therapieangebote, geschweige denn spezialisierte Pflegeheime und Tageszentren, ersetzen.