Wie geht das am besten?
Dank der Entwicklung in der HIV-Therapie redet man heutzutage bei HIV von einer chronischen gut behandelbaren Infektion. Aber was bedeutet das jetzt konkret? Werden Menschen mit HIV auf die gleiche Art und Weise genauso alt die Gesamtbevölkerung? Anhand einiger Punkte soll hier ein Einblick in das Thema aus biomedizinischer Sicht gegeben werden.
Statistische Lebenserwartung steigt
Tatsächlich zeigen seit Jahren unterschiedlichste internationale Studien mit großen Datensätzen den Anstieg der statistischen Lebenserwartung von Menschen mit HIV. Natürlich muss man dabei bedenken, dass solche Statistiken einerseits auf mathematischen Modellen basieren und andererseits nicht immer auf die einzelnen Menschen umzulegen sind. Auch hier gelten die klassischen Vor- und Nachteile einer Statistik: Sie zeichnen ein gutes Bild, aber haben mitunter mit der individuellen Lebensrealität wenig zu tun.
Anschaulicher ist es daher, sich die ganz reale Entwicklung in den großen HIV-Schwerpunktspitälern Österreichs anzusehen. Das Durchschnittsalter der hier in Betreuung stehenden Menschen mit HIV ist seit 2002 von 39,2 auf fast 50,7 Jahre angestiegen. Von den aktuell ca. 5000 in Betreuung stehenden Personen sind 51,7% über 50 Jahre alt. 23,3% haben das 60. Lebensjahr und mit 3,1% haben über 150 Menschen bereits das 75. Lebensjahr überschritten. Ein großartiger Erfolg der HIV-Therapie. Allerdings muss man klar sagen – nur alt werden reicht meist nicht aus. Um auch mit guter Gesundheit und mit hoher Lebensqualität älter zu werden, braucht es etwas mehr.
Alterserkrankungen treten früher auf
Mit steigendem Lebensalter nehmen bei allem Menschen diverse Gesundheitsproblematiken zu. Vor allem Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den klassischen altersbedingten Aspekten. Es ist bereits länger bekannt, dass sich die Situation in Zusammenhang mit HIV etwas anders darstellt. Denn solche altersbedingten Gesundheitsprobleme treten bei Menschen mit HIV im Vergleich zur Gesamtbevölkerung häufiger und teils in früherem Lebensalter auf. Deutlich sieht man den Effekt, wenn man die Anzahl der Erkrankungen vergleicht. So zeigte eine Studie aus den Niederlanden in der Altersgruppe von 50–55 Jahren: In der Gruppe ohne HIV hatten etwa 15% zwei Erkrankungen oder mehr. In der Gruppe mit HIV waren es mehr als doppelt so viel. Weitere Studien bestätigten dies.
Für Menschen mit HIV bedeutet dieser Effekt schlichtweg, dass schon in jüngeren Jahren auf potenzielle altersassoziierte Gesundheitsprobleme zu achten ist. Eine dementsprechende Gesundheitsförderung kann also schon früher sinnvoll sein.
Medikamente nehmen im Alter zu
Mit dem Begriff Polypharmazie ist meistens die Einnahme von 5 Medikamenten und mehr pro Tag gemeint. Es liegt auf der Hand, dass mit höherem Lebensalter und daher mit steigender Anzahl an Erkrankungen das Thema Polypharmazie für viele Menschen eine Rolle spielt. Bei Menschen mit HIV kann dies eben häufiger, bzw. oft bereits in früherem Alter der Fall sein. Hier zeigt wieder eine internationale Studie, dass Polypharmazie keine Theorie ist. Von über 2100 Menschen mit HIV nahmen 82% der Teilnehmer*innen zumindest eine zusätzliche Tablette neben der HIV-Therapie ein. Und bei 42% lag eine Polypharmazie vor. Die Summe der täglichen Medikation kann also mit der Zeit unübersichtlich werden. Es empfiehlt sich unbedingt, die behandelnden HIV-Ärzt*innen über alles zu informieren, was eingenommen wird. Seien es Blutdruckmittel, Cholesterinsenker, Magenschoner oder auch Vitaminpräparate und Nahrungsergänzungsmittel. Denn auch wenn mit den modernen HIV-Therapien seltener Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen auftreten, gilt es bei manchen Kombinationen aufzupassen.
Gesundheitsförderung einfach wichtiger
Beim Thema „Älter werden mit HIV“ ist es schlichtweg wichtig sich bewusst zu machen, dass umfassende Gesundheitsförderung und dies bereits in vergleichsweise jüngerem Alter entscheidend sein kann. Zumindest zwei Aspekte sind vermutlich besonders hervorzuheben.
Zum einen führt die HIV-Infektion zu einer Entzündungsreaktion, welche die Gesundheit auf unterschiedlichsten Ebenen ungünstig beeinflussen kann. Je länger eine Infektion untherapiert bleibt, desto schwerwiegender können diese Auswirkungen sein. Obwohl eine HIV-Therapie derzeit diese sogenannte chronische Inflammation nicht komplett verhindern kann, so reduziert sie doch die Effekte auf ein Minimum. Die zentrale Gesundheitsmaßnahme ist daher eine effektive und durchgehende HIV-Therapie.
Der zweite große Punkt, der immer erwähnt werden muss – auch wenn es öd sein mag – sind die Lifestyle-Faktoren. Es geht um eine ausgewogene Ernährung, um ausreichend Bewegung und darum, Rauchen und übermäßigen Alkohol- oder Substanzkonsum zu vermeiden. Diese Themen haben logischerweise bei allen Menschen enormen Einfluss auf die Gesundheit. Allerdings können sie im Zusammenhang mit HIV nochmals mehr Auswirkungen haben.
Die Sache mit dem Rauchen
Bei den Lifestylefaktoren, die sich nachhaltig auf die Gesundheit auswirken, steht bekanntermaßen das Thema Rauchen mit ganz oben. Und man braucht nicht diskutieren – mit dem Rauchen aufzuhören ist äußerst schwierig und kann enorm viel Energie und Nerven über einen sehr langen Zeitraum kosten. Da es sich aber aus gesundheitlicher Sicht so wahnsinnig lohnt, muss das Thema schlichtweg konstant angesprochen werden. Auch, bzw. vor allem in Zusammenhang mit HIV.
Einerseits ist die Raucher*innen-Quote bei Menschen mit HIV enorm hoch. Gut sieht man dies wieder in der Statistik der großen HIV-Ambulanzen Österreichs: Hier rauchen 47% aller Patient*innen mit HIV. Laut Statistik Austria sind es in der Gesamtbevölkerung „nur“ 20,6% der über 15-jährigen Personen. Dieser Unterschied in der Raucher*innen-Quote ist durchaus mit vielen anderen Ländern vergleichbar.
Andererseits erhöht Rauchen bei Menschen mit HIV das Risiko für gesundheitliche Komplikationen stärker. Zwei dänische Studien zeigten dies besonders deutlich auf. Es wurden Daten von Tausenden Menschen mit und ohne HIV in Bezug auf ihren Rauchstatus verglichen.
In der ersten Studie wurden die „verlorenen Lebensjahre“ angegeben, um die Auswirkungen des Rauchens zu veranschaulichen. In der Gruppe ohne HIV lag die statistische Lebenserwartung der Raucher*innen hinter der Lebenserwartung der Nichtraucher*innen, konkret verloren sie durch das Rauchen 3,6 Lebensjahre. Bei den Gruppe mit HIV verloren die Raucher*innen im Vergleich zu den Nichtraucher*innen allerdings 12,3 Jahre Lebenszeit. Die zweite Studie bot ein vergleichbar klares Bild: In der Gruppe ohne HIV war 1 von 4 Herzinfarkten mit Rauchen assoziiert. Bei den Menschen mit HIV hingen 3 von 4 Herzinfarkten mit dem Rauchen zusammen. Der Faktor Rauchen wirkte sich auch hier also um ein Mehrfaches stärker aus. Vor allem für Menschen mit HIV bringt ein Rauchstopp enorme Vorteile und es lohnt sich immer wieder Energie und Geduld zu investieren.
Das Fazit ist klar
Was zu Beginn der HIV-Epidemie undenkbar war, ist heute Realität: Dank Therapie ist ein langes Leben mit HIV möglich. Um gleichzeitig aber auch eine langes Leben mit hoher Lebensqualität zu erreichen, sind alle verfügbaren, bzw. umsetzbaren gesundheitsfördernden Maßnahmen unbedingt zu empfehlen. Damit man unabhängig von Statistiken ganz individuell von den großartigen Erfolgen der HIV-Therapie auch bis ins hohe Alter profitieren kann.