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Community & Politik

Wir im Heute

In einem Interview mit einer Studentin wurde ich neulich, bezogen auf mein aktivistisches/ehrenamtliches Engagement, gefragt, wieso ich das eigentlich mache. Mir fielen Erlebnisse aus meiner Kindheit und Jugend ein, Erfahrungen als Betroffene und Nicht-Betroffene in der Öffentlichkeit, Diskriminierung über Social Media. Für mich bedeutet mein Ehrenamt bei der HOSI Wien ein Aufstehen gegen Missstände, gleichzeitig einen Kampf für Freiheit, Gleichheit, Sicherheit. Die Studentin fragte mich, ob ich auch aufgrund von  positiven Erlebnissen das Bedürfnis habe, mich ehrenamtlich zu engagieren. Ja – für deren Erhalt oder das Wiedererleben. Damit andere dieselbe Erfahrung machen können. Dabei geht es dennoch um den Widerstand gegen Missstände, gegen Diskriminierung. Vorträge „Booktalk: Anna Hájková – Menschen ohne Geschichte sind Staub, Homophobie und Holocaust“ erinnern mich an die vielen Dinge, die bereits erreicht wurden. Als queere/lesbische cis* Frau genieße ich das Privileg, mittlerweile viele Rechte und Freiheiten zu haben, aufgrund von Kämpfen, die vor mir geführt wurden. Ich fühle mich den vielen Lesben verbunden, die vor mir gelebt, geliebt und gekämpft haben. Und trotz der Privilegien und dem bereits Erreichten überlege ich zweimal, bevor ich in Wien die Hand der Frau ergreife, die neben mir geht. Und vielleicht lasse ich sie auch heute noch wieder los, wenn ich nachts im Dunkeln an einer Bar vorbeigehe, vor der viele männlich gelesene Personen stehen.  

Und dann denke ich daran, dass ich „nur“ überlege und sie „nur“ vielleicht wieder loslasse. Ich kann mich ansonsten allein ziemlich frei bewegen. Und ich denke an Freund*innen, die trans* sind und denen es manchmal schwerfällt, das Haus einfach und spontan zu verlassen. Die überlegen, wie sie heute aussehen, wohin sie gehen und was dort passieren könnte, wenn sie dieses oder jenes Kleidungsstück tragen. Wir teilen uns Safe Spaces, wie beispielsweise den LesBiFem-Abend im Gugg, aber der Weg dorthin kann für uns unterschiedlich aussehen. Ich muss also das Ausbleiben negativer Erfahrungen in der Öffentlichkeit auch zu den positiven Erlebnissen zählen, nach denen ich gefragt wurde. Und gleichzeitig bin ich mir darüber bewusst, dass ich diese positiven Erfahrungen mache, die andere noch nicht machen dürfen. Wenn ich also im Netz einen Kommentar lese, der angibt „wir“ hätten ja die gleichen Rechte und Freiheiten mittlerweile wie hetero cis* Personen, hinterfrage ich dieses „wir“ (abgesehen davon, dass die Aussage eh nicht stimmt). So gehören beispielsweise alle Besucher*innen des LesBiFem-Abends für mich zu einem Wir, von dem ich spreche. Nicht nur, dass ich trans* Personen nicht aus diesem Wir ausklammere – ich beziehe sie bewusst mit ein. Ich fühle mich ihnen besonders zugehörig, mich ihnen besonders verbunden. Und aufhören zu kämpfen kann ich – können wir – erst, wenn wir alle tatsächlich die gleichen Rechte und Freiheiten haben.  

Von Patricia Stromitzki

LesBiFem-Team
HOSI Wien