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Editorial Schwerpunkt

Weil schöne Worte nicht genug sind

Sehr geehrte Leser*innen,

In den fast 80 Jahren nach den Verbrechen der Nationalsozialisten haben die Menschen in Österreich Gedenkrituale entwickelt. Die Befreiungsfeier in Mauthausen ist hier vermutlich der jährliche Höhepunkt. Hier beteiligen sich viele LGBTIQ-Organisationen am Gedenkzug. Eines dieser Rituale hat heuer eine empfindliche Störung erfahren und das war gut so. Der Gedenktag des österreichischen Parlaments, erinnert seit 1997 jährlich am 05. Mai an die Opfer des Holocaust. Das Gedenken in die Hallen des Parlaments zu holen war und ist ein wichtiger symbolischer Akt. Wir, von der HOSI Wien, hatten das Privileg in diesem Jahr eingeladen zu sein. Die Stimmung war andächtig, die musikalische Untermalung war elegant, die Begrüßungsreden ganz gut. Trotzdem hatte die ganze Veranstaltung einen bitteren Beigeschmack: Namentlich die Anwesenheit von Herbert Kickl, Norbert Hofer und anderer FPÖ-Politiker*innen. Es ist eine erschreckende Tatsache der politischen Situation in Österreich, dass eine Partei breite Zustimmung erfährt deren Kern antisemitisch und queerfeindlich ist, deren Intelligenzija aus deutschtümelnden Burschenschaften stammt und deren Funktionär*innen häufiger wegen Wiederbetätigung verurteilt wurden, als in diesem Magazin Platz ist. Als Demokrat*in in Österreich ist dies eine stete Herausforderung.

Der Plan an diesem 5. Mai war eine unkritische, entkernte Erinnerungsveranstaltung auszurichten in denen auch die Gesinnungsgenoss*innen der Täter*innen einen Platz haben sollten. Die Verantwortlichen hatten ihre Rechnung aber ohne den jüdischen Philosophen und Publizisten Michel Friedman gemacht. Er nutze die Gelegenheit vor der Versammlung zu sprechen, um Menschenfeindlichkeit der FPÖ anzusprechen. Die die ÖVP trage zudem direkte Mitverantwortung dafür, dass diese Partei und ihre Inhalte hoffähig wurden. Durch wenige klare Worte hat sich der Charakter der Veranstaltung geändert. Aus einem zur Routine verkommenen, beliebigen Ritual ist eine wirkliche Auseinandersetzung geworden.

Die vorliegende Pride-Ausgabe der LAMBDA steht nicht nur im Dienst der Pride-Bewegung, sondern holt auch unsere gemeinsame Geschichte und unser kollektives Erinnern vor den Vorhang. In Österreich bedeutet ein Blick zurück für Minderheiten in der Regel einen Blick auf Leid, verlorene Weggefährt*innen und harte Kämpfe gegen Ignoranz und Menschenhass. Das gilt leider auch für uns, die LGBTIQ-Community. Gleichzeitig ist der Blick zurück für uns auch ein Blick auf bewegte, spannende Zeiten, auf große Siege, auf eine gesellschaftliche Veränderung zum Besseren, auf starke Bündnisse und auf große Solidarität. Das erfüllt uns zurecht mit Stolz und ist umso mehr Grund nicht den Blick in die Vergangenheit zu scheuen.

Für Herrn Friedmann wird wohl kommendes Jahr eine erneute Einladung durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ausbleiben, was sehr schade ist. Vielleicht fasst dann jemand anderes den Mut die Doppelmoral anzusprechen. Wir sollten daraus lernen und dürfen nicht akzeptieren, dass Erinnern zu einer Routine verkommt und am Ende eh alles wurscht ist. Es ist unsere Aufgabe aktiv die Stimme zu erheben, um Doppelmoral und Unmoral sichtbar zu machen! Denn beide Phänomene sehen wir gerade besonders deutlich vertreten durch ÖVP und FPÖ.

Wir von der LAMBDA versuchen seit 1979 unseren Teil dazu beizutragen. Auch in dieser Ausgabe kommen viele Stimmen aus unserer Community zu Wort die den Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der LGBTIQ-Community werfen. Es freut mich dazu unter anderem den Lesbenrat und HOSI International begrüßen zu dürfen, die uns nun von nun an regelmäßig mit Beträgen bereichern. Leider müssen wir uns auch von zwei langjährigen Kolumnist*innen verabschieden: Ulrike Lunacek und ihr LunaCheck gehen in den wohlverdienten LAMBDA-Ruhestand. Vielen Dank für viele Jahre Weitblick und Leidenschaft für die Sache. Auch müssen wir von Andrea Francesconi Abschied nehmen die uns über viele Lambdas hinweg mit einem satirischen Einblick in die Community beschenkt hat.

In dieser Ausgabe wird es neben den ernsten Themen der Gedenk- und Erinnerungskultur einen Überblick über die ViennaPride, aktuelle politische und soziale Berichterstattungen und vieles mehr geben.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen der LAMBDA.

Von Peter Funk

Arbeitsgruppe Internationales
HOSI Wien
(Foto: © Marie Dvorzak)