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„Die Tage sind heller, wenn man liebt“

schrieb Ruth Maier am 9. Jänner 1941 in ihr Tagebuch. Sie wurde am 10. November 1920 als Tochter von Irma und Ludwig Maier in Wien geboren. Ihr Vater, ursprünglich aus Brünn, war Jurist und Generalsekretär des Internationalen Dachverbands der Post-, Telephon- und Telegraphenbediensteten. Die assimilierte Familie lebte zuerst in Wien-Währing, 1931 übersiedelten sie in den gerade fertiggestellten Gemeindebau Gersthofer Straße 75-77. Der Vater starb bereits 1933 an Wundrose.

Als 18-jährige erlebte Ruth Maier in Wien die Novemberpogrome. Sie, die zuvor keinerlei Beziehung zum Judentum hatte, begann in ihrem Tagebuch eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Identität. Maier durfte als Jüdin 1938 die Schule nicht mehr besuchen. Die Stadt Wien kündigte die Wohnung – Irma Maier versuchte vergeblich, gegen die Kündigung vorzugehen. Sie wohnten daraufhin in der Wohnung eines Bekannten des Vaters, Hugo Singer, zur Untermiete. Ruths zwei Jahre jüngere Schwester Judith schaffte im Dezember 1938 die Flucht mit dem Kindertransport nach England. Auf Initiative der Mutter konnte auch Ruth im Jänner 1939 in Lillestrøm bei der Familie des norwegischen Postbediensteten Arne Strøm unterkommen, um ihre Matura zu machen. Im April 1939 schaffte es auch Irma Maier mit ihrer Mutter nach England zu fliehen.

Freiwillige Meldungen zum Arbeitsdienst sicherten Ruth Maier in Norwegen ihren Lebensunterhalt. Dort lernte sie die um ein Jahr jüngere Gunvor Hofmo kennen, mit der sie eine Liebesbeziehung einging. „Ein Mädel liebe ich sehr“, schrieb sie an ihre Familie und in ihrem Tagebuch vermerkte sie: „Ich liebe sehr ihre tiefen Augen. Ich liebe ihre Art, verhalten über Dinge zu sprechen.“ Ruth wollte Malerin werden, zeichnete und schuf Aquarelle, und schrieb auch Gedichte. Nach der Besetzung Norwegens durch NS-Truppen und der Etablierung der Kollaborationsregierung wurden alle in Norwegen lebenden Jüd:innen erfasst. Im Herbst 1942 zog Ruth Maier von Lillestrøm nach Oslo in ein Wohnheim. Im Oktober 1942 begann die Deportation der jüdischen Bevölkerung des Landes. Ruth Maier wurde am 26. November durch norwegische Polizisten und Gestapo-Männer verhaftet, nach Auschwitz deportiert und am 1. Dezember 1942 in der Gaskammer des NS-Vernichtungslagers ermordet.

Überlieferte Tagebücher und Briefe

Bekannt wurde Ruth Maier posthum mit ihren Tagebüchern, die sie von 1933 bis 1942 führte, und die einen authentischen Augenzeugenbericht aus dem Blickwinkel einer jungen Jüdin darstellen. Ihre Freundin und spätere Schriftstellerin Gunvor Hofmo verwahrte Maiers Tagebücher. Nach Hofmos Tod 1995 entdeckte der norwegische Schriftsteller Jan Erik Vold in deren Nachlass die Tagebücher, die er 2007 veröffentlichte. Inzwischen wurden die Tagebücher in zwölf Sprachen übersetzt und sind seit 2014 Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. Im Mandelbaum Verlag erschien 2020 das Buch „Es wartet doch so viel auf mich…“. Tagebücher und Briefe. Wien 1933-Oslo 1942. Auf ihren Schriften basierend entstanden in den letzten Jahren ein Theaterstück, ein Musical und eine Oper. Sehr eindrucksvoll hat Robert Gokl in seiner Menschen & Mächte-Doku Ruth Maier – die Anne Frank von Österreich ihr Leben verfilmt, in der Schauspielerin Martina Ebm aus den Tagebüchern liest und Stationen ihres Lebens aufsucht.

Würdigung der HOSI Wien

Die HOSI Wien plant Ende Oktober die Bibliothek in den Vereinsräumen nach Ruth Maier zu benennen. Dazu soll bis Ende November eine Ausstellung mit biografischem Material über das Leben von Ruth Maier gezeigt werden. Infos über eine Ausstellung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und des Zentrums für Holocaust- und Minderheitenstudien in Oslo befinden sich auf der Homepage des DÖW: Das kurze Leben der Ruth Maier. Wien – Oslo – Auschwitz (https://www.doew.at).

Weiters sollen Künstlerinnen eingeladen werden, sich fotografisch, malerisch oder in einem Text mit dem Leben Ruth Maiers auseinanderzusetzen. Geplant sind auch ein Filmscreening und eine Lesung aus den Tagebüchern.

Von Petra M. Springer

Studium an der Universität Wien, Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin, Journalistin und Wissenschaftspublizistin, arbeitet bei der Illustrierten Neuen Welt und ist im Vorstand von OBRA – One Billion Rising Austria. (Foto: Lisa Leutner)