Vor 78 Jahren endete die nationalsozialistische Schreckensherrschaft in Europa. Der Holocaust forderte das Leben von Millionen von Menschen jüdischen Glaubens. Viele weitere Minderheiten wurden vom NS-Regime verfolgt, verhaftet und ermordet. Dies waren Roma und Sinti, Menschen mit Behinderungen, politisch andersdenkende, sogenannte „asoziale“ und auch queere Menschen.
1936 wurde die „Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung“ gegründet und die gezielte Verfolgung von queeren Menschen intensivierte sich. Mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, homosexuelle Männer wurden zu tausenden in Konzentrationslagern inhaftiert und mussten den berüchtigten „Rosa Winkel“ tragen. Lesbische Frauen und andere queere KZ-Häftlinge mussten den schwarzen Winkel für „Asoziale“ tragen. Projekte wie jenes zur „namentlichen Erfassung der homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus in Wien“, das 2013 durchgeführt wurde, sollen dabei helfen, die Identitäten und die genaue Zahl der queeren Opfer des Nationalsozialismus zu erfassen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass an die 10.000 queere Menschen in Konzentrationslagern, in Kerkerhaft oder durch die Vollstreckung von Todesurteilen wegen Unzucht ihr Leben verloren haben.
Gedenk- und Erinnerungskultur ist maßgeblich dafür, dass derartige Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals vergessen werden und nie wieder geschehen. Gerade in Österreich, wo erst Anfang der 1990er Jahre ein offizielles Bekenntnis zur Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus abgegeben wurde, ist sichtbare Gedenkkultur besonders wichtig. Queere Opfer des Nationalsozialismus fanden in Österreich erst 1995 durch das Nationalfondsgesetz offizielle Anerkennung.
Bereits 1984 wurde auf Initiative der Homosexuellen Initiativen in Österreich (darunter die HOSI Wien) im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen die weltweit erste Gedenktafel angebracht, welche an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Im darauffolgenden Jahr wurden noch zwei weitere Gedenktafeln in den ehemaligen Konzentrationslagern Neuengamme (Hamburg) und Dachau (Bayern) enthüllt.
Das erste Mahnmal für queere Opfer des NS-Regimes, welches außerhalb eines ehemaligen Konzentrationslagers errichtet wurde, steht am Westermarkt in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam. Das „Homomonument“ der Künstlerin Karin Daan zeigt drei Winkel aus Granit, die zu einem gemeinsamen Winkel arrangiert sind.
1989 wurde am Berliner Nollendorfplatz die erste Gedenktafel angebracht, die sich im deutschsprachigen Raum außerhalb eines ehemaligen Konzentrationslagers und in einer Stadt befindet. Die Gedenktafel in Berlin hat die Form eines Winkels und genau wie jene Gedenktafel der HOSI in Mauthausen trägt sie die Inschrift: „Totgeschlagen Totgeschwiegen – Den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus“.
In den 90er Jahren folgten weitere Gedenktafeln und Skulpturen in europäischen Städten, welche an die queeren NS-Opfer erinnern: 1990 wurde im italienischen Bologna zum 45. Jahrestag der Befreiung ein Gedenkstein eingeweiht, 1993 folgte das niederländische Den Haag mit einer imposanten Metallskulptur von Theo ten Have und schließlich wurde 1994 in Frankfurt am Main mit dem „Frankfurter Engel“ das erste derartige Denkmal in einer deutschsprachigen Stadt eröffnet.
Anfang des neuen Jahrtausends wurden schließlich auch in Übersee erste Mahnmale errichtet, 2001 weihten Sydney und San Francisco ergreifende Skulpturen ein, 2005 folgte Montevideo, die Hauptstadt von Uruguay, mit dem Monolith „Rosa Winkel“. In weiterer Folge bekamen die meisten ehemaligen Konzentrationslager eigene Gedenktafeln für queere Opfer des Nationalsozialismus und 2008 wurde schließlich auch in der deutschen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal enthüllt. Im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück wurde im Herbst 2022 nach jahrzehntelangem Einsatz schließlich auch ein Denkmal für verfolgte und ermordete lesbische Frauen in Form einer Betonkugel errichtet.
Nennenswert ist eine weitere Gedenktafel, nämlich jene im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen, die 1992 enthüllt wurde, 50 Jahre nach dem Tag der Mordaktion an 200 homosexuellen Häftlingen im KZ-Außenlager Klinkerwerk. Vergangenes Jahr, am 80. Jahrestag dieser Mordaktion erinnerte der Präsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees: „Gedenken ist nicht nur ein Rückblick, es geht nicht nur um die Vergangenheit, es spiegelt sich auch in der Gegenwart wider – also auch beim Stand der Stellung und der Rechte von Schwulen und Lesben, der LGBTQAI+ Community zur heutigen Zeit.“
Diese mahnenden Worte haben umso mehr Gewicht, wenn man die besorgniserregenden politischen Entwicklungen weltweit ansieht, wo queerfeindliche Polemik häufiger wird und sogar diskriminierende Gesetze beschlossen werden, wie es derzeit beispielsweise in Florida, Polen oder der Slowakei der Fall ist. Selbst im Wiener Landtag sind von einer Fraktion vermehrt queerfeindliche Wortmeldungen und politische Forderungen zu vernehmen, die an den Wortlaut der republikanischen Anhängerschaft Donald Trumps in den USA erinnern.
Gerade deshalb ist es höchst an der Zeit, dass auch die Stadt Wien ihr eigenes Mahnmal zum Gedenken an die queeren Opfer des Nationalsozialismus bekommt. Bereits 2006 wurde ein Wettbewerb für ein Denkmal am Wiener Morzinplatz durchgeführt. Am Morzinplatz, dem Ort, an dem die Gestapo ihren Sitz hatte, befindet sich bereits seit 1951 eines der ersten österreichischen Mahnmale für die Opfer des Nationalsozialismus. Nachdem der Siegerentwurf technisch nicht umsetzbar war, wurden von 2010 bis 2015 verschiedene temporäre Mahnmale am Morzinplatz und am Wiener Naschmarkt errichtet. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis schließlich ein würdiges permanentes Projekt auserkoren wurde. Im Juni 2023 wird nun im Wiener Resselpark das Denkmal ARCUS (Schatten eines Regenbogens) eröffnet.
Das Wiener Mahnmal wird sich einreihen in die Orte des Gedenkens, die uns aufzeigen, was niemals vergessen werden und was niemals wieder geschehen darf.
Alexander Friedrich