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Faszination LGBTIQ-Geschichte

QWIEN ist die erste Anlaufstelle für queere Geschichte in Wien. Hier wird archiviert, zusammengetragen, geforscht und aufgearbeitet. Vor allem wird aber vermittelt: Durch queere Stadtführungen, Publikationen, Teilnahmen an Konferenzen und vieles mehr. Andreas Brunner ist einer der beiden Leiter von QWIEN und ist in Wien bekannt für seine queeren Stadtführungen, seine Expertise zu queerer Geschichte und seine Leidenschaft, diese weiterzugeben. Um die Gegenwart der LGBTIQ Community in Österreich zu verstehen, müssen wir einen klaren Blick auf die Geschichte und den Weg, den wir gekommen sind, werfen. Hierfür hat sich Andreas Brunner den Fragen der Lambda gestellt.

Lambda: Lieber Andreas, die erste Frage, die ich Dir stellen will, ist: Was fasziniert Dich eigentlich an der LGBTIQ Geschichte?

AB: Was fasziniert mich an queerer Geschichte? Dass es wahnsinnig viel zu entdecken gibt an unbekannter Geschichte und ungeschriebenen Geschichten. Seien es Biografien oder historische Zusammenhänge, für lange Zeit wurden sie tabuisiert, wurden sie verschwiegen, auch in der akademischen Forschung. Das Reizvolle ist jetzt, diese Geschichte sichtbar zu machen, den Leuten näher zu bringen, mit historischen Fachstudien, mit populären Stadtspaziergängen, mit Vorträgen, mit Artikeln – so gab es ja auch in der „Lambda Nachrichten“ lange eine historische Kolumne. All das, um zu vermitteln: Es gab schwule, lesbische, trans Menschen immer! Sie waren nur unsichtbar oder sie wurden in die Unsichtbarkeit gedrängt. Es ist unsere Aufgabe heute, diesen Schleier zu lüften und sie wieder an die Oberfläche, in die Sichtbarkeit zu bringen, ins Licht zu stellen.

Lambda: Was ist der Unterschied zwischen queerer Geschichtsschreibung und „normaler“ Geschichtsschreibung?

AB: Mein Initialerlebnis diesbezüglich war Anfang der 1990er Jahre, als ich meinen Zivildienst im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes machte. Dort musste ich feststellen, dass es eigentlich fast nichts zur Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit gab. Es fanden sich ein paar Bücher, ein paar Publikationen aus Deutschland, natürlich „Die Männer mit dem rosa Winkel“ von Heinz Heger, ja. Aber niemand wusste, was sich hinter dieser Geschichte eigentlich verbarg. Wer waren diese Personen, was waren die Umstände, wie kam es dazu? Es gab überhaupt keine Forschung dazu. Und das hat dann meinen Kollegen Hannes Sulzenbacher und mich motiviert, speziell an der NS-Verfolgung zu arbeiten. Und wir arbeiten ja heute noch daran. Man sieht, es ist ein weites Feld. Inzwischen fast 30 Jahre später wissen wir aber eindeutig mehr und können das auch unter die Leute bringen.

Lambda: War Österreich da ein Spezialfall, oder war es überall in Europa so, dass queere Geschichte nicht untersucht wurde?

AB: Österreich ist vielleicht in paar Jährchen hinten nach, aber im Grunde kein Spezialfall. Egal ob man jetzt queere Wissenschaft im deutschsprachigen Raum, in Frankreich, oder im englischsprachigen Raum betrieb: Sobald man sich mit diesen Themen beschäftigte, war da der Vorwurf des Involviert-Seins, da sich ja heterosexuelle Wissenschaftler*innen mit diesen Themen nicht beschäftigen würden. Wenn man ins Archiv ging und bestimmte Sachen suchte, hatte man sozusagen schon den Rosa-Winkel-Stempel drauf. Gleichzeitig wurde einem aber die nötige wissenschaftliche Objektivität abgesprochen, weil man ja direkt betroffen sei.

Es war ja tatsächlich so, dass die frühe Forschung zu diesen Themen aus den queeren Communities getrieben wurde: Sie kam aus der Schwulenbewegung, sie kam aus der Lesbenbewegung, sie kam dann auch aus der Transbewegung. Es war also immer der Impuls aus den Communities, der dann mit einiger Zeitverzögerung von den akademischen Wissenschaften aufgenommen wurde.

Aber das hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten doch deutlich geändert. Inzwischen gibt es eine viel breitere Forschungscommunity, die sich nicht mehr über die eigene sexuelle Orientierung definiert.

Lambda: Wenn wir über Geschichte reden, reden wir ja auch immer über Erinnern und über Gedenken. Wie hat sich aus Deiner Perspektive queere Gedenkkultur in Österreich entwickelt?

AB: Das ist nicht einfach zu beantworten. Man muss sich überlegen, was bedeutet Gedenkkultur? Ist das jetzt irgendwo einen Stein, ein Monument hinstellen? Oder ist nicht Gedenkarbeit ein Prozess, der laufend stattfindet und auch laufend stattfinden muss?

Zum ersteren Aspekt, ein Mahnmal als sichtbares, öffentliches Zeichen: da war Österreich erstaunlich früh dran. Das Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer in Mauthausen war ja das erste Monument weltweit dieser Art. Noch dazu an einem Ort der Verfolgung! Dafür haben viele andere Gedenkstätten noch Jahrzehnte gebraucht. Und ich muss mich ja ehrlich noch immer fragen, wie hat das 1984 funktioniert? Wie haben Reinhardt Brandstätter und Co das durchgebracht beim Mauthausen-Komitee? Ein großes Wunder, dass Österreich da so früh dran war. Danach ging die Diskussion weiter, und es hat lange gedauert, bis jetzt 2023 tatsächlich ein Mahnmal auch in Wien eröffnet werden wird. Dazwischen gab‘s aber auch Initiativen in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer in Salzburg und in der Steiermark.

Was jetzt diesen Prozess der Gedenkkultur anbelangt, das ist etwas, das von den Communities getragen werden muss. Solch ein Prozess ist natürlich auch einer ständigen Veränderung unterworfen, weil sich die Formen des Gedenkens ändern. Wenn ich z.B. historische Stadtspaziergänge mache und dabei speziell auf die Verfolgungssituation vor, während und nach der NS-Zeit von Lesben, Schwulen, Transpersonen eingehe, wenn ich dabei vor einem Haus stehe, wo eine Frau gelebt hat, die wegen ihrer Homosexualität gesellschaftlich geächtet, ausgeschlossen und verfolgt wurde, dann ist das auch ein Akt des temporären Gedenkens. Die Gruppe setzt gemeinsam einen Gedenkmoment. Das sind ephemere, vergängliche Formen des Gedenkens, die aber genauso wichtig sind.

Oder wenn eben bei euch in den „Lambda Nachrichten“ über queere Geschichte berichtet wurde, wenn an Personen erinnert wird, die für queere Gleichberechtigung und Rechte eintraten in einer Zeit, als das noch nicht selbstverständlich war. Damals, als man noch strafrechtlich verfolgt wurde und das auch den sozialen Tod bedeutet hat, weil man danach viele Berufe nicht ausüben konnte, weil man von der Familie ausgestoßen wurde. Das passiert teilweise auch heute noch, aber nicht mehr in dem Umfang wie vor 50, vor 70, vor 100 Jahren.

Auch das sind Beiträge zu einer Gedenkkultur.

Lambda: Welche Ereignisse der jüngeren Geschichte findest Du besonders wichtig für die queeren Communities?

AB: Die 80er Jahre waren ein ganz spannendes Jahrzehnt. Damals bildeten sich mit der Gründung der HOSI Wien und der Etablierung der [Türkis] Rosa Lila Villa zwei Organisationen in Wien, die für die Sichtbarkeit von queeren Lebensformen ganz entscheidend waren und immer noch sind.

Auch hat sich im Zuge der AIDS-Epidemie und der Bedrohung durch das Virus das Sprechen über Sexualität ganz grundsätzlich verändert in den 1980er Jahren. Homosexuelle Lebensweisen wurden dadurch sichtbar und Teil eines öffentlichen Diskurses, nicht nur über Sexualität, sondern auch über Beziehungen – und deren rechtliche Absicherung. Das war ein entscheidender Schritt in Richtung Gleichberechtigung, denn damit konnte dieses Thema nicht mehr wegdiskutiert werden. Diese Entwicklungen heute zu analysieren, finde ich besonders spannend und wichtig.

Lambda: Möchtest Du unseren Leser*innen noch etwas mitgeben?

AB. Was ich gerade der jungen Generation mitgeben möchte, ist, dass Bewusstsein um die eigene Geschichte ein ganz wichtiger Bestandteil der Identität ist, und dass es wichtig ist, zu wissen, woher man kommt. Dieses Geschichtsbewusstsein hatte die LGBTIQ-Bewegung immer. Das sehen wir schon in den 70er Jahre, in denen die eigene Geschichte ein ganz wichtiger Moment der Identifikation und der Selbstversicherung war. Diese Rückbesinnung muss Teil unseres heutigen Lebens sein, da die Geschichte ein Teil unserer heutigen Identität ist.

Von Peter Funk

Arbeitsgruppe Internationales
HOSI Wien
(Foto: © Marie Dvorzak)