Versuch einer Bilanz
Fast wäre es uns durchgerutscht: Unser eigenes kleines Jubiläum von jener Reform, die im Frühjahr 2018 begann. Nach außen vor allem durch die Ablöse von Christian Högl als Obmann durch mich sichtbar, wurde doch die meiste Arbeit unermüdlich von zahlreichen Mitgliedern hinter den Kulissen geleistet. Fünf Jahre sind ein guter Zeitraum, um zurückzublicken.
Wie es dazu kam, kann hier nur kurz dargestellt werden. Die HOSI Wien ist die älteste und größte LGBTIQ-Interessenvertretung in Österreich. Damit kommen viele Stärken wie Schlagkraft, Organisationsfähigkeit und Beständigkeit im Kurs, aber auch Schwächen, etwa eine gewisse Veränderungsresistenz und Selbstbezogenheit. Das passiert unabhängig von den handelnden Personen, aber 22 Jahre mit dem gleichen Obmann halfen dabei auch nicht. Doch mit neuen und jungen Mitgliedern kam der Wunsch nach Veränderung, etwa nach mehr Transinklusivität oder Einsatz für intergeschlechtliche Menschen, oft an der Frage der bestmöglichen Art zu gendern festgemacht.
Wie es begann
Anfang 2018 gab es schließlich ein Team aus mehreren Vorstandsmitgliedern, das bereit war, Verantwortung zu übernehmen. Im Vorstand sollte es Kontinuität geben und der Obmannwechsel in Absprache erfolgen (mein Vorgänger hatte schon Monate davor im Vorstand über seinen Wunsch nach Ablöse gesprochen). Für einen kurzen Moment schien alles harmonisch. Doch dann kam die Frage nach der richtigen Art zu gendern wieder auf, mit zum Teil grundsätzlich unterschiedlichen Sichtweisen. Bei diesen Diskussionen entwickelte sich eine Eigendynamik, an deren Ende kein vernünftiger Kompromiss mehr möglich war. Also wurde die Entscheidung allen Mitgliedern bei der Generalversammlung 2018 vorgelegt: Einerseits durch die Wahl des Vorstands, andererseits durch mehrere Anträge. Sie war eine der am besten besuchten und emotionalsten Generalversammlungen der jüngeren Vereinsgeschichte, und am Ende schaffte sie Klarheit: Die Mitglieder sprachen mir mit 82 Prozent ihr Vertrauen aus und wollten eine grundsätzliche Erneuerung der HOSI Wien.
Hier bewiesen die Mitglieder Mut. So eine Kursänderung macht man nicht mal so eben über ein Wochenende, und es bestand die reale Gefahr, schneller bewährte Konzepte und Mitglieder zu verlieren, als man Neues aufbauen kann. Es traten auch prompt einzelne langgediente Protagonisten nach der Abstimmung aus und es wurde für mehrere unserer Projekte der Untergang vorausgesagt, vom Gugg, das einen neuen Geschäftsführer brauchte, über einen drohenden Imageschaden in der österreichischen und internationalen Community bis zum Ende der Lambda war alles dabei. Nun, die – erneuerte – Lambda haltet ihr gerade in Händen, vom Gugg können sich alle an den Gruppen- und am offenen Dienstagabend selbst ein Bild machen, und unser Image in der österreichischen Community ist heute so, dass wir das nächste Vernetzungstreffen der österreichischen LGBTIQ-Organisationen ausrichten. Und international? Da wurde nach der EuroPride Vienna 2019 unsere Katharina Kacerovsky-Strobl in den Vorstand des europäischen Pride-Dachverbandes EPOA gewählt.
Erneuerung braucht viele kleine und große Schritte
Nach der Sicherung des Bestehenden haben wir umsichtig, Schritt für Schritt die Reform umgesetzt. Zunächst eine neue Gender-Leitlinie, von den Mitgliedern bei der Generalversammlung 2019 angenommen, um einerseits unsere Schreibweise zu modernisieren und andererseits unseren Arbeitsgruppen mehr Gestaltungsraum zu ermöglichen. Dann eine Statutenreform, um den Anforderungen von immer mehr Aufgaben und Wachstum gerecht zu werden. Worauf ich persönlich stolz bin, ist die Beschränkung der Amtszeiten der Obleute auf maximal zehn Jahre.
Wir haben weiters die HOSI Wien konsequent für trans- und intergeschlechtliche Menschen geöffnet. Auf Forderung der bei uns aktiven trans und intergeschlechtlichen Mitglieder haben wir die Frage der Geschlechtsidentität in den Vereinszweck aufgenommen. In der Praxis gehen wir dabei behutsam vor und stimmen uns selbstverständlich mit Organisationen der trans und intergeschlechtlichen Community ab. Wir freuen uns dabei besonders, dass es bei uns den vermeintlichen Konflikt zwischen cisgender und trans Frauen schlicht nicht gibt, sondern, ganz im Gegenteil, die LesBiFem-Gruppe bei der Generalversammlung 2022 eine eigene Resolution zu transinklusivem Feminismus eingebracht hat. Die LesBiFem-Gruppe, früher Lesbengruppe, feierte übrigens 2021 ihr 40-Jahre-Jubiläum und ist heute so stark besucht und aktiv wie seit vielen Jahren nicht.
Zusätzlich zu unserer erfolgreichen Jugendarbeit setzten wir uns bei der Stadt Wien für ein eigenes queeres Jugendzentrum ein, das sich inzwischen im Aufbau befindet. Apropos Stadt Wien: Einer der für mich schönsten Momente meiner Obmannschaft war, als der damalige Regenbogenstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) bekanntgab, endlich das lange versprochene Mahnmal für die Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung umzusetzen. Noch steht es nicht, aber es zeigt, dass sich konsequenter, professioneller Einsatz als Interessenvertretung auszahlt.
Herausforderungen gestern und heute
Es gab aber noch größere Herausforderungen: Die ÖVP-FPÖ-Regierung, das Mega-Projekt der EuroPride Vienna 2019 und schließlich die Pandemie, die uns finanziell, organisatorisch und in unseren Leistungen für die Community vor gewaltige Herausforderungen stellte. Wir haben diese Zeit gemeistert: Die HOSI Wien ist seither medial präsent wie nie und konnte regelmäßig erfolgreich Themen setzen, z. B. letzten Sommer zum Umgang mit Mpox (Affenpocken) durch das Gesundheitsministerium. Mit der EuroPride 2019 haben wir über zwei Wochen Veranstaltungen mit insgesamt 800.000 Besucher*innen auf die Beine gestellt und Vienna Pride auf ein ganz neues Niveau gehoben, in dem die ganze Stadt einen Monat lang im Regenbogen erstrahlt. Dass dabei Bundespräsident, EU-Justizkommissarin und Bürgermeister sprachen, war ein auch international anerkanntes Signal. Und durch Corona haben uns unsere treuen Mitglieder und Ehrenamtlichen getragen – übrigens haben wir heute deutlich mehr Mitglieder als vor fünf Jahren.
Das ist besonders wichtig, weil es uns als Interessenvertretung stark und unabhängig macht. Letzteres muss man aber auch wollen und zeigen, darin haben wir unseren Auftritt gestärkt und werden heute mehr als überparteilich wahrgenommen. Von einer Jungen ÖVP, die wir aus guten Gründen nicht an der Regenbogenparade teilnehmen lassen, über einen Bürgermeister, den wir kritisieren, wenn er homophobe serbische Politiker beschenkt, bis hin zur oft enttäuschenden grünen Regierungsbeteiligung: Wir messen alle an den gleichen Maßstäben.
Viele dieser Leistungen waren nicht mehr die meinen: Ich musste mich nach zweieinhalb Jahren im August 2020 aus gesundheitlichen Gründen als Obmann zurückziehen. Ann-Sophie Otte bürdete ich damit eine nur halb umgesetzte HOSI-Reform auf. Sie hat sich unter diesen Umständen so gut bewährt, wie ich es kaum zu hoffen gewagt hatte und wie es niemand von ihr hätte verlangen können. Dass die HOSI Wien heute so stark aufgestellt ist, ist mindestens so sehr ihr Verdienst wie der meine. Aus tiefstem Herzen: Danke!
Also können wir uns auf die Schulter klopfen und einen Sekt aufmachen? Nein, natürlich nicht. (O.k., Sekt geht immer.) Es gibt immer neue Herausforderungen anzugehen. Eine davon ist, dass wir nach wie vor ein überwiegend weißer Verein sind und kaum migrantische Stimmen haben. In einer Stadt mit derart viel Zuwanderung wie Wien ist es aber unsere Aufgabe, uns aktiver um unterschiedliche Communitys zu bemühen.
Alle Veränderungen, die ich oben beschrieben habe, wären ohne den gewaltigen Einsatz unserer Mitglieder, des Vorstandes, des Organisationsteams von Regenbogenball und -parade, der Stonewall GmbH sowie der hunderten Ehrenamtlichen nicht möglich gewesen. Fällt euch, liebe Leser*innen, etwas ein, das ihr gerne von der HOSI sehen oder hören würdet? Wollt ihr etwas ändern? Meldet euch! Davon leben wir, wir sind schließlich ein Mitgliederverein. Eure Ideen und euer Engagement sind immer willkommen. Schreibt doch einfach unserem fantastischen Büro unter [email protected]!