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Queeres Wohnen

Gibt es das?

Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bei der Frage nach Unterschieden, Besonderheiten, Klischees und Stereotypen im Zusammenhang mit der queeren Welt bewegen. Die Frage nach der Existenz von queerem Wohnen macht da keine Ausnahme: in einer Gesellschaft, in der Unterschiede, Grenzen, Zuordnungen immer mehr an Eindeutigkeit verlieren – und Codes, Zeichen und Stile ihre Bedeutung. Unsere Welt ist weit und vielfĂ€ltig – gibt die Betonung von Unterschieden Orientierung oder verhindert sie die Entstehung von Neuem? Hier ein Versuch von Antworten in Bezug auf queeres Wohnen.

Es gab eine Zeit, in der wir dachten, die queere Welt ließe sich mit drei Buchstaben (LGB) umreißen; als die bewusste Abgrenzung, die Inszenierung des „Anders-Seins“, Sicherheit und Selbstbewusstsein gaben: Queere Musik, queere Mode, queere Sprache, queere Lokale – das alles existierte und blĂŒhte einerseits versteckt in den Nischen der Subkultur – und andererseits im Spotlight der BĂŒhnen, Laufstege und Kunstgalerien – bewundert, aber oft unbenannt, wie der berĂŒhmte weiße Elefant im Raum.

Und das Wohnen? Welche Rolle spielte es in diesem Universum, das sich nicht zeigen oder einfach nicht beim Namen genannt werden durfte? NatĂŒrlich war es immer Teil einer vor allem schwulen, also mĂ€nnlichen, Selbstinszenierung. Wir denken an die poppig-schwĂŒlstig-abgefahrenen Interiors eines Gianni Versace oder Elton John; an den pompösen Luxus in den Apartments eines Karl Lagerfeld oder Liberace. Sie alle prĂ€gten die Klischees des schwulen Wohnens und erfĂŒllten gleichzeitig die Erwartungen des Publikums.

Aber erstens: was sagt die Inszenierung schon ĂŒber das reale Leben aus (man denke bloß an die Paradeappartements des 18. Jahrhunderts – die hatten auch nichts mit den privaten RĂ€umen zu tun, in denen König*in dann tatsĂ€chlich wohnte). Zweitens sahen (und sehen!) wir nichts oder weit weniger vom lesbischen Wohnen; wahrscheinlich weil Frauen – ob lesbisch oder nicht – sowieso meist andere Sorgen hatten (haben), als ihre Wohnung zu inszenieren und zu prĂ€sentieren. Das hat sich nur sehr bedingt geĂ€ndert – mit dem Ergebnis, dass bis heute vor allem schwule MĂ€nner und ihre Wohnungen in den einschlĂ€gigen Magazinen auftauchen. Und drittens: es ist ja RealitĂ€t, dass auch heute noch der eine oder die andere aus unserer großen LGBTQIA+ Community nicht geoutet ist – vor Eltern, Kollegen und Freundinnen, und deshalb allzu eindeutige Hinweise aufs – und Einblicke ins queere Leben (schon gar eine bewusste Inszenierung) lieber vermeidet – selbst in den eigenen vier WĂ€nden.

Aber wenn wir schon dabei sind – was wĂ€ren denn solche Hinweise und sind tatsĂ€chlich sie es, die queeres Wohnen ausmachen? Vielleicht die Regenbogen-Neonleuchte? Das Handtuch mit der Stickerei Er & Er? Das Kunstwerk, das den nackten Körper (des jeweiligen Geschlechts) feiert? Verlassen sollten wir uns darauf nicht – allein der Blick auf queere Paare lĂ€sst diesen Ansatz schon wieder wanken: Es ist eindeutig queeres Wohnen, womöglich aber ohne explizit queere Optik. DafĂŒr werden vielleicht die RĂ€ume anders genutzt als im Plan vorgesehen, gibt es also zwei persönliche RĂŒckzugsbereiche statt eines Arbeits- und eines Kinderzimmers. Oder es werden ĂŒberhaupt alle ZwischenwĂ€nde rausgenommen, weil’s keine Abgrenzung braucht, sondern eher viel Platz fĂŒr die eine oder andere Geselligkeit!

Michelangelos „Der auferstandene Christus“ [Fotocredit: Peter1936F unter CC BY-SA 4.0}

Queerer Lifestyle bahnt sich durchaus seinen Weg und findet seinen Ausdruck, wie widrig die UmstĂ€nde und wie festgefahren die gesellschaftlichen Stereotypen auch sein mögen. Mir selbst zum Beispiel standen – in meinem ziemlich katholischen und peniblen Elternhaus – nicht allzu viele Wege offen, meinen jungen schwulen Geschmack auszuleben. Aber der muskelbepackte marmorne Körper des „Auferstandenen Christus“ von Michelangelo auf einem großen Poster ĂŒber meinem Bett – den fand ich wunderbar, und die Eltern waren wohl ebenso zufrieden. Mein lieber Mann hat in seiner Jugend neben den nackten ­„David“ einfach eine ebenso nackte „Venus“ gehĂ€ngt – als Tarnung, gewissermaßen. Wir sehen also ohnehin nur, was wir sehen möchten, und nehmen wahr, worĂŒber wir ansatzweise Bescheid wissen.

Zumindest scheinen wir damit ein Merkmal queeren Wohnens gefunden zu haben: es sucht und findet, vergleichbar einer Sprache, einen Ausdruck fĂŒr das Außergewöhnliche – in welchem Aspekt auch immer: Vielleicht ist es die Lage oder GrĂ¶ĂŸe der Wohnung oder eine neue Wohnform. Möglicherweise wird der Grundriss vollkommen umgekrempelt, gestalterisches Neuland betreten, oder es sind tatsĂ€chlich die Farben und Möbel in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Mag auch sein, dass es nur die Musik ist, die die RĂ€ume erfĂŒllt 


Neuerliches ABER: Ist Wohnen nicht immer Ausdruck von IndividualitĂ€t, persönlichen UmstĂ€nden und Rahmenbedingungen? „In der Tat“ könnte man sagen; wie ist es dann aber möglich, dass sich die IndividualitĂ€t, wie groß ihr gesellschaftlicher Wert aktuell auch sein mag, im Einheitsbrei ewig gleicher Belanglosigkeiten verliert? HĂ€user, Einrichtungen, Materialien, Farben – alles folgt gehorsam den von der Industrie vorgegebenen Trends. Es braucht Konsequenz und Durchhaltevermögen, dem tatsĂ€chlich einmaligen individuellen Geschmack Ausdruck zu verleihen.

Und es braucht noch mehr: Die intensive BeschĂ€ftigung mit dem eigenen Leben, den BedĂŒrfnissen, den AblĂ€ufen und Gewohnheiten; das Bewusstmachen der persönlichen Vorlieben, woher sie kommen und wie sie in die Gestaltung und Organisation von RĂ€umen ĂŒbersetzt werden können.

Ich wage hier mal eine These: das Finden der eigenen Persönlichkeit verlangt von queeren Personen frĂŒher oder spĂ€ter eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Geschichte, ein tiefes Hinterfragen der eigenen WĂŒnsche und BedĂŒrfnisse, die Definition eines tatsĂ€chlich individuellen Wegs zum GlĂŒck abseits etablierter heteronormativer LebensentwĂŒrfe. Vielleicht sind queere Personen es eher gewohnt, Naheliegendes zu hinterfragen und ihren eigenen Weg abseits ausgetrampelter Pfade zu finden, und deshalb eher gewillt, sich auch beim Wohnen nicht fĂŒr das Erstbeste, sondern fĂŒr das ihrer Person, ihrem Leben und Alltag entsprechende zu entscheiden, auch wenn die Suche danach und die Umsetzung immer wieder mĂŒhsam, zeitaufwendig und teuer sind.

In kleinem oder großem Umfang, in einem einzigen Detail oder im gestalterischen Gesamtkonzept – queeres Wohnen existiert, findet seinen Ausdruck und immer einen Weg, auf die eine oder andere Art besonders, persönlich und schön zu sein. Es existiert als Manifestation einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen WĂŒnschen und Vorlieben – immer wieder bereit, neu, ungewohnt und grenzenlos persönlich zu sein – ohne RĂŒcksicht auf Tabus und Trends.

Wolfgang Stempfer ist selbstĂ€ndiger Unternehmer und betreibt DER GUTE PLAN, BĂŒro fĂŒr Innenarchitektur und Interior Design.

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.