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Satire

Queer Queen Gretl

Tante Gretl ist gestorben. Eine Schande fĂŒrs Universum, dass statt ihr zuletzt nur die Demenz im Wasserbett gelegen ist: Acht Jahrzehnte lang hat sie irgendwie gekocht (Ausnahme: Powidltascherln mit Brösel, diese gemischt mit Mandelstaub; zur Frucht gab’s Sternanis und Rum), irgendwie den Haushalt in Schach gehalten und irgendwie Sex absolviert („nicht gehabt“, laut Onkel Poldi selig, und der musste es wissen).

Aber alles, was auch nur entfernt mit Herz, Hirn und Haltung zu tun hatte, da war sie nicht irgendwie. Da gab’s keine Demenz. Da war sie ganz, ganz große, wirklich große Klasse; ich kann es bezeugen und ein SchĂŒppel Enkelkinder.

77 war sie und bissig wie eine Stute, als sie mich aus ihrer Kabane an der Alten Donau verscheucht hat wie einen Ratz, weil ich ihren hirntoten Tarockpartnern das Gendern wenigstens erklĂ€ren wollte. Tante Gretl war in dieser Hinsicht beunruhigend modern: 1x Sprechverbot nicht einhalten und fort wĂ€ren die Powidltascherln. Auf unerwĂŒnschte Rede folgte Ausgrenzung, Sanktion, Entzug von Lebensnotwendigem. Kennen wir von irgendwo, oder?

(Sogar meine Mutter, wirklich eine helle Kerze auf der Geburtstagstorte, redete mit ihrer Schwester seit Jahren so gut wie nichts: Gretl war einfach immer die KlĂŒgere, Engagiertere, hat sie mir einmal erzĂ€hlt. Da war nichts zu machen. Und statt stĂ€ndig neue Abfuhren von der eloquenten Schwester zu kassieren, hat sie fĂŒr sich das Schweigen erfunden.)

Nicht wirklich beliebt war sie bei den (meist dickĂ€rschigen) Freundinnen, wenn die von ihren Partnern verlassen wurden zugunsten kleinerer PfirsichĂ€rsche: Sobald die jaulten „das ist doch nicht normal, dass der lieber die ausg’schamte Hur’ vögelt als mich? Der hat eh keinen StĂ€nder mehr z’ammbracht“ – da wischte sie den Wutrotz der Dame gern weg mit dem Wettex-Tuch der Geschichte vom Mann einer Freundin: Der war aus der Kriegsgefangenschaft libidomĂ€ĂŸig schwerst beschĂ€digt heimgekehrt – „aber das hat sie echt hingekriegt, weil sie hat sich’s einfach vorgestellt, wie sich sein Maibaum anfĂŒhlt, wenn ihn noch wer aufstellen könnte. Hat funktioniert, fĂŒr beide. Also da warst du halt echt a bissl wurschtig, liebe Liesi.“

Hört nicht jede Verlassene gern.

FĂŒr – damals noch – Prinz Charles und seine Natur-Retterei hatte sie nur eine Art Mitleid ĂŒbrig, obwohl der Klimawandel sie umtrieb. Sie konnte in drei, vier kurzen SĂ€tzen zeigen, dass die Nationen und ihr Wettbewerb der Kern aller gewalttĂ€tigen Übel sind, insbesondere des Klimawandels. Da war sie firm sogar in moderner chinesischer Philosophie, die als Abhilfe „eine einzige Welt unter dem Himmel“ vorsieht – „aber die eine einzige Weltregierung sollen halt die Chinesen sein. So eine gute Idee, aber so schade.“

Gendern konnte in der sonst so Besonnenen, Jahrgang 1939, richtige Wut auslösen, wĂ€hrend sie zugleich jede Benachteiligung und Ausgrenzung aufgrund von Geschlecht oder Lebensart nachdrĂŒcklich und aktiv bekĂ€mpfte. „Man muss auch fĂŒr etwas sein, nicht nur gegen. Und auch was dafĂŒr tun“, scheuchte sie beim Strandfest zu ihrem 80er die GĂ€ste zum Laubsammeln hinaus (und kochte gelegentlich in der Vinzi-KĂŒche fĂŒr Obdachlose).

Sie konnte jungen Leuten – selbst GĂ€sten – die Löffel langziehen, weil die ihre Schuhe im Vorraum irgendwohin geschleudert hatten – und doch hatte sie fĂŒr ihre VerrĂŒcktheiten jedes VerstĂ€ndnis: „Wer heute nicht verstört ist in dieser Welt, der ist ein Lump oder hat gar nichts begriffen.“

Sogar Donald Trump fand durchwegs Gnade vor ihrem mitleidigem Auge: „Der hat doch so eine Wut, seht ihr das nicht? Wie ein Kind ist der, voller Wut. Und kann seine Sachen nicht anders rĂŒberbringen als wie er es halt macht. Und von irgendwo muss die Wut ja kommen, oder?“, fragte sie. „Die HĂ€lfte der Amis hat auch diese Wut. Haltet’s ihr die alle fĂŒr deppert? WĂ€r’ nicht sehr gescheit, fĂŒrchte ich.“ (Zu seiner „Gestohlene Wahl“-Geschichte: „Ihr hört’s dem nicht zu, nur weil er euch nicht gefĂ€llt. Aber elektronische Wahlen sind tatsĂ€chlich nicht so sicher wie unser System.“ Als Fundamental-Demokratin war es ihr selbstverstĂ€ndlich, dieses System zu verbessern, wo nur möglich – statt blindlings den zu prĂŒgeln, der es anklagt, wenn auch mit LĂŒgen.)

Sie war dafĂŒr, wo dafĂŒr zu wenig geschieht; und dagegen, wo zu viele dafĂŒr sind oder gleichgĂŒltig. Immer aufmerksam, was dahintersteckt und immer aufmerksam, ob sie auch wirklich auf der richtigen Seite steht. Furchtlos, von prachtvoller Angriffslust und zugleich von milder Liebe zur Menschheit und zum Menschsein, mir fĂ€llt dazu kein anderer, weniger pathetischer Ausdruck ein, der stimmen wĂŒrde.

Tante Gretl war sowas von queer.

Von Andrea Francesconi

Lambda Autor, Satire