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Satire

Lob des Schweigens

Lambda untersucht die Sprache und steckt ihr zu diesem Zweck die Finger sonstwo rein; höchste Zeit für uns von der ARGE SCHAS (Schöner Als Sex), das Schweigen zu brechen und zu preisen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe mich fast um Kopf und Kragen gequasselt, wieder einmal.

Neulich an der Alten Donau, bei Tante Gretl, ihren Powidltascherln und ihrer Tarock-Runde. „Brauchst gar nicht mehr kommen nächstes Mal, wennst wieder anfangst mit dem Gendern und dem ganzen Blödsinn.“

Das war eine Drohung: Ihre schwitzenden Kumpane im Dralon-Outfit wären mir ja sowas von powidl – aber ihre Powidl­tascherln nicht. Ich hatte Tante Gretl mangels Streitgelegenheiten bisher so ein bissl retro weiblich & konfliktscheu eingeordnet. Aber ein falsches Wort genügte (meinetwegen, es waren vielleicht ein paar Worte mehr meinerseits), dass sie mir quasi alles auf einmal entziehen würde. 77 und bissig wie eine Stute.

Tante Gretl ist in dieser Hinsicht beunruhigend modern: 1x Sprechverbot nicht einhalten und fort wären die Powidl­tascherln (sie nimmt Sternanis und Rum zur Frucht!). Ausgrenzung, Sanktion, Entzug von Lebensnotwendigem: Genauso machen es gerade die Deutschen, die ihre grüne Kanzlerkandidatin abstrafen, weil die beim Erzählen einer sie empörenden Geschichte einen identitären Ungustl zitiert hatte, der „Neger“ gesagt und es genau wie in seinen Kreisen üblich gemeint hatte. Wie gesagt, sie hatte ihn zitiert, kritisch dazu, und wie. Ergebnis: Annalena Baerbock kroch auf dem Bauch, noch vor der Ausstrahlung der Sendung und entschuldigte sich x-mal öffentlich. Es täte ihr aber sowas von Leid.

Geht’s noch?

Wenn ja, dann schlecht. Kommunikation sollte doch der Verständigung dienen. Wie verträgt sich das aber mit den zunehmend verhängten Sprechverboten, den zahllosen Tabu-Worten, den existenzgefährdenden Sanktionen für unerwünschte „Sager“? Die Lösung kann nur sein, dass wir lernen müssen, einander schweigend zu verstehen.

Karl Valentin hat gesagt, Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Auch Schweigen kann schön sein, aber die Arbeit damit! In Österreich gibt es keine relevante Umfrage dazu, wohl aber in Deutschland, obwohl die keine Ahnung haben vom Wert des Powidl: Dort haben im Juni 44 Prozent der Befragten angegeben, dass sie sich zu bestimmten Themen nicht mehr frei äußern können. Und das sind nicht die fünf Prozent dussligen Holocaust-Leugner, sondern es ist fast die Hälfte der Einwohner des Landes.

Sind die alle bekloppt? Kaum.

Und selbst, wenn: Für das Zusammenleben heißt das nichts Gutes, wenn fast die Hälfte fühlt und sagt, sie bekäme einen Maulkorb umgebunden. Dazu kommt, dass Sprachtabus zwar gute Absichten verfolgen wie Respekt und Rücksichtnahme, aber diese Ziele oft himmelweit verfehlen, weil Zorn und Erbitterung über die allgegenwärtigen Diktate Trotz auslösen: Gretls Gender-Tabu soll zwar nur ihre Kartendippler vor Langeweile schützen oder dem Herzinfarkt, aber in mir rumort deshalb der Widerstand.

Ich frage mich also: Wie wollen wir miteinander reden? Antwort, derzeit: Gar nicht. Ich hätte einfach den Schnabel halten und die Brösel (mit Mandelstaub gemischt!) loben sollen. Denn dem, der nichts sagt, geht es besser als dem, der besser nichts gesagt hätte.

Meine Mutter könnte mit dieser Art Wortkargheit General-Oberin des Trappistenordens sein: Sie schweigt immer und überall, wo ihr nichts Besseres einfällt. Mit Tante Gretl redet sie seit Jahren so gut wie nichts. Ihr Schweigen drückt je nach Stimmung zärtlichste Liebe oder vernichtende Ablehnung oder irgendwas dazwischen aus, man kann’s sich aussuchen. So war das seit jeher, sagt Gretl. Und ist froh über die Stille.

Meine Mutter auch: Gretl war einfach immer die Klügere, hat sie mir einmal erzählt. Da war nichts zu machen. Und statt ständig neue Abfuhren von der eloquenten Schwester zu kassieren, erfand sie für sich das Schweigen: „Mir ist einfach nichts eingefallen, weißt du“, sagte sie. „Und später habe ich gemerkt, dass es im ganzen Leben so ist: Die Wortkargen imponieren immer. Man glaubt schwer, dass jemand kein anderes Geheimnis hütet als dass ihm einfach nichts einfällt.“

Von Andrea Francesconi

Lambda Autor, Satire