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Von heuchlerischen Gender Equality-Gegnern und Öffnungshoffnungen für WorldPride

In der nordportugiesischen Hafenstadt Porto war es beim EU-Sozialgipfel am 7. Mai 2021 wieder einmal so weit: Ungarns Premier Viktor Orbán, vor Jahrzehnten einmal ein Liberaler, heute rechtskonservativ bis autokratisch, polterte gegen „Gender Justice“, also „Geschlechtergerechtigkeit“. Mit diesem Begriff nahm er Bezug auf die Gender Equality Strategy, die Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter, der Europäischen Kommission für 2020-2025. Deren Ziel ist es, eine Europäische Union zu schaffen, in der „Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in all ihrer Vielfalt ihr Leben frei gestalten können, die gleichen Chancen haben, gleichberechtigt an unserer Gesellschaft teilhaben und diese führen können“ (1).

Was an „Gender Equality“ missfiel dem Fidesz-Anführer also? Nun, der Begriff „Gender“ sei ein „ideologisch motivierter Ausdruck, dessen Bedeutung nicht klar“ sei. „Frauen und Männer sollten gleich behandelt werden“. No na. Aber was meinte er mit „ideologisch motiviertem Ausdruck“? Der Begriff „gender equality“ schaffe „Raum für LGBT-Rechte“ und gefährde „das Gefüge (der) christlichen Gesellschaften“. Aha, daher weht also der Wind! Wir erinnern uns, in Polen hat die PiS-Regierung bzw. haben zahlreiche von der PiS regierte Gemeinden sogenannte „LGBT-freie Zonen“ geschaffen, woraufhin die Europäische Union – erfreulicherweise – Förderungen für diese Gemeinden einstellte.

Eigentlich ging es bei diesem EU-Sozialgipfel um Vorschläge und Entscheidungen, wie die europäische Agenda im nächsten Jahrzehnt sozialer gestaltet und der Wiederaufbau nach Corona sozial gerecht gestaltet werden kann. Soziale Rechte sollen mithilfe eines „Aktionsplans zur europäischen Säule sozialer Rechte“ gestärkt werden. Neben zahlreichen anderen Zielen war definiert worden, dass dieser Aktionsplan den Gender Pay Gap, also die Lücke bei Beschäftigung, Bezahlung und Pensionen zwischen Männern und Frauen schließen solle; dass er die Gleichstellung der Geschlechter (Gender Equality) und Gerechtigkeit für alle Mitglieder unserer Gesellschaft fördern solle.

Aus Gender Equality/Gleichstellung der Geschlechter wurde nach den Protesten aus Ungarn und Polen eine schon i-tüpferl-reiterisch anmutende Trennung der Begriffe: „gender“ und „equality“ wurden in unterschiedlichen Teilen des Satzes untergebracht: „… close gender gaps …. and promote equality …) – dadurch konnte die oben erwähnte Erklärung (2) dann einstimmig verabschiedet werden.

Wortklauberei? Nein, denn Orbán und der informelle PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski verstehen unter Gender Equality auch LGBTI-Rechte – und das widerspräche ja, so die Überzeugung dieser rechtskonservativen Politiker, den christlichen Werten und Traditionen in ihren Staaten. Schwule und Lesben passen einfach nicht zum Familienkonzept ihrer angeblich so christlichen Länder. Übrigens: der Überlieferung nach hat sich Christus ja genau für diskriminierte Gruppen eingesetzt … Aber das ist diesen Reaktionären egal. Egal ist ihnen auch, wie heuchlerisch viele von ihnen sind. In meinem Interview mit dem Frauenmagazin Woman Mitte Mai habe ich mich darauf bezogen: „Das schlechteste Beispiel ist der frühere Chef der rechtskonservativen Fidesz im Europaparlament, der mit einer Frau verheiratet ist und dann während Corona auf einer Sexparty mit Männern erwischt wurde. Diese Doppelmoral ist zerstörerisch für ein demokratisches Miteinander.“ Er hat übrigens, wir erinnern uns, noch bevor dies bekannt wurde, all seine Funktionen zurückgelegt…

Soweit also zu den selbsternannten Verteidigern der christlichen Werte in der EU.

Um Empowerment, Akzeptanz von und Respekt vor Vielfalt wie um Inklusion wird es auch bei Copenhagen 2021 gehen: Von 12.-22. August 2021 finden in Kopenhagen und Malmö die diesjährigen EuroGames statt, und eine der größten, wenn nicht überhaupt die größte je stattgefundene LGBTI-Menschenrechtskonferenz, ein Menschenrechtsforum und am 21. August WorldPride, die globale Regenbogenparade – wenn, ja wenn die hoffentlich dann schon stärker abklingende Pandemie es möglich macht. Als Mitglied des Internationalen Beirats der MR-Konferenz ist die Autorin dieser Kolumne selbst in die Vorbereitungen eingebunden und wird sowohl die Eröffnung der Sports Leaders Konferenz am 16. Mai sowie die Internationale ParlamentarierInnenversammlung am 20. Mai moderieren. Dazwischen plant sie mit den Wiener Kraulquappen bei einigen der Schwimmbewerbe der EuroGames an den Start gehen.

WorldPride, EuroGames und das Menschenrechtsforum in Kopenhagen und Malmö werden hoffentlich für Tausende LGBTI-AktivistInnen und -Prominente sowie unsere Verbündeten aus der Hetero-Welt ein großartiges und ermutigendes Ereignis werden! Eines, das angesichts des Backlashs gegen die in vielen Teilen der Welt für Frauen, für uns LGBTI-Menschen und andere Minderheiten in den letzten Jahrzehnten erkämpften Freiheiten Mut machen und Kraft geben wird für die Auseinandersetzungen und Kämpfe, die uns bevorstehen: Egal, ob religiöse Fundamentalist*innen diverser Denominationen(3), heuchlerische nationalistische Anti-Europäer* oder Rechtsextreme und Covid-leugnende Regenbogenfahnen-Verbrennende: Wir werden gegenseitige Unterstützung, Solidarität, offene Worte, klare Politik sowie auch Finanzmittel brauchen, um unsere offenen, liberalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften nicht aushöhlen oder gar zerstören zu lassen.

Die Autorin dieser Zeilen würde sich freuen, wenn auch viele Lambda-LeserInnen sich entscheiden, an der diesjährigen WorldPride, dem Menschenrechtsforum und den EuroGames teilzunehmen!

  1. https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights/gender-equality/gender-equality-strategy_de
  2. https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2021/05/08/the-porto-declaration/
  3. Hinweis Booklet Anti-Gender-Mobilisierungen in Europa, nachzulesen auf: https://heidihautala.fi/wp-content/uploads/2020/12/Anti-gender-Mobilisations-in-Europe_Nov25.pdf. Näheres unter https://copenhagen2021.com/

Von Ulrike Lunacek

Mag.ª Ulrike Lunacek ist langjährige Bundes- und Europapolitikerin der Grünen und seit ihrem Rückzug aus der Politik im Mai 2020 als Autorin, Referentin und Moderatorin tätig und in einigen Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv.