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Gesundheit

Chemsex

Und abseits des Kicks?

von Birgit Leichsenring und Günther Menacher

Das Wort Chemsex steht schlicht für Sex unter Einfluss chemischer Substanzen. Es gibt keine einheitliche Definition, im Regelfall ist aber der Konsum von bestimmten Substanzen beim Sex zwischen Männern gemeint.

Berichte zeigen auf, dass Chemsex auch in Wien in den letzten Jahren zunimmt. Und es ist zu vermuten, dass die gesamte Corona-Krise mit ihren Lockdown-Maßnahmen diese Dynamik zum Teil beschleunigt.

Im Vordergrund für Chemsex steht oft der Wunsch nach mehr sexueller Enthemmtheit, Intensität und Leistung. (Insgesamt betrachtet ist das Thema aber weitaus komplexer und beinhaltet unterschiedlichste Faktoren.) Die hierfür konsumierten Chems bewirken dabei nicht nur den gewünschten Effekt. Chemsex birgt eine Vielzahl an sehr unterschiedlichen Risiken mit dementsprechenden möglichen Konsequenzen – auch rechtlichen.

Aus diesem Grund möchten wir als zwei Kolumnist*innen der Lambda euch das Thema von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Natürlich sind die Fragen, denen wir uns gestellt haben, nicht vollständig, aber sie bieten einen kleinen Überblick.

Welche rechtlichen Konsequenzen kann der Umgang mit illegalen Chems haben?

Das Suchtmittelgesetz (SMG) regelt die strafrechtlichen Konsequenzen des Umgangs mit Chems. Die Suchtgiftverordnung und die Psychotropenverordnung listet verbotene chemische Substanzen auf, unter denen sich auch klassische Chems wiederfinden. Strafrechtlich begehen Personen, die sich Chems besorgen und an User*innen weiterverteilen, sowie User*innen selber auf Grund des Besitzes, Delikte nach dem SMG. Sollte es zu gesundheitlichen Folgen kommen, sind Körperverletzungsdelikte oder im schlimmsten Fall Tötungsdelikte gegen jene, die Chems zur Verfügung stellen, denkbar. Wenn Sex bei der Einnahme im Spiel ist, kann im Einzelfall ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer*eines der Sexpartner*innen vorstellbar sein.

Wenn man* nur für den Eigenbedarf etwas dabei hat, ist das doch legal?

Nein, es gibt keinen legalen Eigenbedarf. Bei Vorliegen von Eigenbedarf („Begehens der Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch“) und bei anderen kleinen Vergehen nach dem SMG läuft ein Strafverfahren in der Regel auf einen Rücktritt von der Strafverfolgung unter Bestimmung einer „Probezeit“ und Durchführung einer „gesundheitsbezogenen Maßnahme“ seitens der Behörden hinaus. Innerhalb dieser Probezeit (1-2 Jahre) sollte man* sich kein weiteres solches Vergehen zu Schulden kommen lassen und man* muss in der Regel an regelmäßigen ärztlichen (Kontroll-)Untersuchungen teilnehmen. Dabei handelt es sich aber um keine „Strafe“/Verurteilung und man* erhält keine Eintragung im Strafregister.

Macht es für die Höhe einer Strafe, falls man* erwischt wird, einen Unterschied, ob man* besitzt, verkauft oder nur konsumiert?

Konsum ist theoretisch straflos, hingegen sind u.a. Besitz, Erwerb, Verkauf oder Erzeugung strafbar. Beim Erwerb und Besitz von Chems von der Polizei angetroffen zu werden, würde allerdings zu geringeren Strafen (falls es nicht sowieso zu einem Strafverfolgungsrücktritt kommt, siehe oben) führen, als z.B. beim Verkauf. Gerade der Verkauf in größerem Mengen führt zu einer empfindlich höheren Strafe („Suchgifthandel“).

Im Übrigen: Einem jeden Konsum muss gedanklich direkt zuvor ein zumindest kurzfristiger Besitz im Rahmen der Einnahme vorangegangen sein. Theoretisch. Damit die Polizei effektiv gegen Konsument*innen ermitteln könnte, müssten die Chems aber (noch) vorgefunden werden – in Händen, Taschen, Rucksäcken, etc.

Welche Substanzen gehören zu den Chems?

Unter Chems werden hauptsächlich vier Substanzen verstanden: GHB/GBL (= „G“ oder „Liquid Ecstasy“), Methamphetamin („Crystal Meth“, „T,“ „Ice“), Mephedron („MCat“, „Meph“, „Badesalz“) und Ketamin („K“, „Ket“, „Kitty“).

Gibt es zu den einzelnen Substanzen einzelne Gesetze?

Alle genannten Substanzen unterliegen grundsätzlich dem gleichen Rechtsregime. Es gibt aber unterschiedliche Grenzmengen bei den unterschiedlichen Chems, bei deren Überschreitung der Umgang mit den jeweiligen Chems einem höheren Strafrahmen unterliegt. Die gleiche Menge verschiedener Substanzen wirkt ja auch unterschiedlich stark. Bei behördlicher Analyse eines aufgegriffenen Substanzgemischs, um z.B. festzustellen, ob eine konkrete Grenzmenge überschritten ist, ist die Reinheit der Produkts zu beachten.

Chems haben bestimmte Wirkungen

Dass genau diese Drogen eine Rolle spielen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Sie können Energielevel, Stimmung und Selbstbewusstsein heben und sind sozial öffnend. Sie verdrängen Müdigkeit oder Hungergefühle und intensivieren die Wahrnehmung. Sie machen hemmungsloser und risikobereiter, während gleichzeitig das Schmerzempfinden sinkt. In der Regel kommt es daher zu härterem und längerem Sex oder Sex mit mehr Personen, als im nüchternen Zustand. Chems sind also besonders passend für eine gesteigerte sexuelle Enthemmtheit mit hoher Intensität und um potenzielle Grenzen zu überschreiten.

Wie sind sexuelle Übergriffe während Chemsex-Partys zu qualifizieren?

Wer die besondere Situation eines Chemsex-Settings ausnützt und sexuelle Handlungen mit einer durch den Konsum stark berauschten und somit psychisch beeinträchtigten Person durchführt, welche die Bedeutung des Vorgangs nicht einsehen kann (Rauschsituation), ist wegen „Sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person“ gerichtlich strafbar. Sollten Kontrolle und Einsichtsfähigkeit über den Vorgang ausreichend gegeben sein, ist ein redlicher Konsens in die sexuelle Handlung hingegen möglich. Ebenso ist zu berücksichtigen, was allenfalls vor Konsumbeginn zwischen den Teilnehmer*innen / potentiellen Sexualpartner*innen ausgemacht wurde. Wer von einem sexuellen Übergriff betroffen ist, sollte sich nicht scheuen, psychosoziale Hilfe in der Folge in Anspruch zu nehmen und ggf. bei der Polizei Anzeige zu erstatten.

Konsumvarianten

Chems können geraucht, gesnifft, geschluckt, anal eingeführt oder intravenös injiziert werden. Bei Letzterem spricht man von Slamming oder Slamsex.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Art des Konsums?

Das macht rechtlich keinen Unterschied.

Hat man* rechtlich etwas zu befürchten, wenn eine andere Person einem unabgesprochen etwas ins Getränk mischt?

Selber ist man* keiner rechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Die die Substanz ins Getränk mischende Person ist in der Regel wegen Körperverletzung strafbar. Und je nachdem, was danach passiert, und ob die Person z.B. „einen gefügig machen möchte“ und es zu Sex kommt, z.B. nach einem Sexualdelikt.

Wie sieht es aus, wenn man* jemandem anderen eine Injektion setzt?

Willigt die Person, die „den Schuss“ erhält, freiwillig ein und befindet sie sich in einwilligungsfähigem Zustand, ist von Straflosigkeit in Bezug auf eine Körperverletzung auszugehen (im Gegensatz zu vorangegangenem Beispiel).

Chemsex kann die Gesundheit beeinträchtigen

Chemsex kann ganz unterschiedliche gesundheitliche Auswirkungen haben. Es können z.B. Ängste, Wahnvorstellungen oder seltener Halluzinationen auftreten. Die Auswirkungen können sich individuell von Panikgefühlen über depressive Episoden bis hin zu Psychosen gestalten. Und Chems können in eine Sucht mit den entsprechenden Langzeitauswirkungen auf allen Ebenen führen. Ein anderer Risikoaspekt sind Überdosierungen und Wechselwirkungen durch Mischkonsum. Chems können zu Herz-Kreislaufproblemen und/oder Atemlähmungen führen. Besonders die Kombination aus Alkohol oder z.B. Opiaten oder Benzodiazepinen mit GHB oder Ketamin erhöht die Wahrscheinlichkeit von Atemlähmungen drastisch. Unter Umständen führt der Konsum zu Kontrollverlust bis hin zum kompletten Blackout.

Chemsex führt leichter zu Verletzungen und es kommt unter Einfluss von Chems wesentlich häufiger zu ungeschütztem Sex. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für die Übertragung von sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten (STDs) wie z.B. HIV und Hepatitis oder anderen STDs wie Syphilis, Tripper oder Chlamydien.

Und unabhängig von Substanz oder vom Konsumsetting können durch gemeinsames Verwenden von Nadeln oder Sniff-Röhrchen HIV und Hepatitis übertragen werden. Und nicht selten kommt es an Einstichstellen vom Injizieren der Substanzen zu Entzündungen.

Was ist, wenn Leute bei einer Chemsex-Party nicht mehr ansprechbar sind, gar reglos da liegen?

Es sollte umgehend erste Hilfe geleistet werden und die Rettung verständigt werden. Sollte man* – jedenfalls letzteres – unterlassen, ist man* wegen „Unterlassung der Hilfeleistung“ gerichtlich strafbar. Es handelt sich dabei um „Vorsatzdelikt“: D.h. wer als Partygast bereits zu stark berauscht ist, um noch reagieren zu können, gegen den entfällt ein solcher Vorwurf.

Was ist, wenn die*der eigene Arzt*Ärztin erfährt, dass man* Chems konsumiert habe?

§ 54 Ärztegesetz regelt eine umfassende Verschwiegenheitspflicht für Ärzt*innen. Eine Strafverfolgung müssen Patient*innen, die mit ihren Ärzt*innen offen über Vorfälle sprechen, insofern nicht befürchten. Anders ist es, wenn sich eine schwere Körperverletzung, Vergewaltigung oder Tod ereignet haben; dann ist im Ärztegesetz eine Anzeigepflicht an die Kriminalpolizei vorgesehen.

Gibt es rechtlich so etwas wie eine Behandlungspflicht von STDs?

Es sollte vorausgeschickt werden, dass bei Vorliegen einer Infektion mit STDs schon aus gesundem Menschenverstand heraus in jedem Fall der Gang zu Ärzt*innen beschritten werden sollte und einem allfälligen Therapievorschlag sofortige Folge zu leisten ist. Für bestimmte wenige STDs (Tripper, Syphilis, u.a.; nicht HIV/AIDS) statuiert das Geschlechtskrankheitengesetz eine tatsächliche Pflicht, dass sich ein*e Patient*in einer Behandlung unterwerfen muss. Wer in Kenntnis der eigenen Infektion mit einer „ihrer Art nach wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheit“ ein Verhalten setzt, das geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung der Erkrankung herbeizuführen, macht sich wegen „Vorsätzlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten“ strafbar. (Mehr dazu siehe Lambda, Ausgabe 4/2020).

Partys oft im privaten Rahmen

Sogenannte Chemsex-Partys finden im Regelfall in privaten Wohnungen statt und können mit wechselnden Besucher*innen über Tage andauern.

Ist man* als Gastgeber*in der Party grundsätzlich haftbar für diverse Ereignisse vor Ort?

Wenn Gastgeber*innen Chems anbieten oder verteilen, klarerweise schon (als „unmittelbarer Täter“ eines Delikts nach dem SMG). Ansonsten könnte womöglich eine „Beitragstäterschaft“ zu Delikten nach dem SMG denkbar sein, weil der Beitrag darin bestehen könnte, den Raum (die Wohnung) zur Verfügung zu stellen, in welchem gerichtlich strafbare Handlungen verwirklicht werden.

Was ist mit entstandenen Schäden, z.B. an der Einrichtung oder Diebstählen, verübt durch Gäste?

Es kommt zu individuellen Haftungen der das Verhalten begehenden Personen – gegenüber der*dem Gastgeber*in bzw. anderen Gästen. Bei Beschädigungen springt allenfalls eine Haushalts- oder Haftpflichtversicherung ein. Die Beschädigung führt, sofern sie nicht vorsätzlich geschieht, aber schlimmstenfalls nur zu einer Ersatzpflicht und nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen im Gegensatz zu einem Diebstahl.

Wer haftet bei Notfällen bis hin zu Todesfällen in einer Privatwohnung?

Jene Personen, die Chems zur Verfügung gestellt haben, könnten in solchen (wenn auch glücklicherweise ganz seltenen, aber dennoch denkbaren) Fällen, dass Anwesende versterben, sich wegen „Fahrlässiger Tötung“ gerichtlich strafbar machen . Es sei auch noch einmal auf die theoretische Möglichkeit einer Beitragstäterschaft der*des die Party veranstaltenden Gastgeberin*Gastgebers hingewiesen.

Gibt es einen rechtlichen Unterschied, wenn man* in privatem Rahmen erwischt wird im Gegensatz zum öffentlichen Raum (z.B. Wohnung versus Pride-Umzug)?

Die Verwirklichung der Delikte nach SMG im öffentlichen Raum fällt unter einen höheren Strafrahmen, dies gilt aber nur für den Verkauf und die Bereitstellung, nicht aber für den Besitz von Chems.

Risiken reduzieren geht, ist aber meist keine Langzeit-Lösung

Es gibt Möglichkeiten, Risiken zu verringern oder zu vermeiden. Beim Sex stehen etwa Gleitgel, Handschuhe, Kondome, PrEP, Test and Treat etc. zur Verfügung. Beim Konsum gilt: Nur eigene Nadeln, Spritzen oder Sniff-Röhrchen verwenden.

Andere Tipps wären z.B. das Meiden von Mischkonsum, nicht zu schnell „nachzulegen“, um Überdosierung zu vermeiden und längere Pausen zwischen Chemsex-Events. Es kann z.B. gut sein, vor dem ersten Konsum kurz zu überlegen, wie sich das Umfeld anfühlt. Oder ob Vertrauenspersonen in der Nähe sind, die den Überblick behalten und im Ernstfall Hilfe leisten bzw. holen können.

Insgesamt gibt es zur Risikominimierung unterschiedliche Optionen und nicht alle Maßnahmen passen zu allen Personen und Situationen. Da aber oft viel mehr dahintersteht, lohnt es sich, nicht nur einzelne Risiken zu minimieren. Einen Blick aufs Ganze zu werfen und in größeren Zusammenhängen über persönliche Erfahrungen zu reflektieren, kann für die eigene (sexuelle) Lebensqualität sehr gut sein.

Rechtlich entlässt risiko-reduzierter Umgang mit Chems aber nicht aus der Strafbarkeit?

In Bezug auf das SMG ist es nicht erheblich, ob man* oben formulierte „Risiken“ minimiert, solange das Tatbild eines Delikts verwirklicht ist. Man* besitzt ja dennoch Chems und stellt sie zur Verfügung.

Dass etwas nur „halb illegal“ ist, gibt es ja nicht?

Das gibt es nicht, entweder ist ein Verhalten strafbar (und wird ggf. stärker oder schwächer bestraft je nachdem wie stark der Strafrahmen ausgeschöpft wird) oder es ist straflos, wenn das Tatbild nicht vollständig verwirklicht wurde.

Anmerkung: Dieser Beitrag ist eine Coproduktion von Birgit Leichsenring und Günther Menacher. Die Texte von Günther werden rechtsbündig gezeigt. Leider war es bisher technisch nicht machbar, Günther auch im Artikelkopf als Autor hinzuzufügen.

Von Birgit Leichsenring

Mikrobiologin und biomed. Wissenschaftskommunikatorin (www.med-info.at)