Staatlicher Frontalangriff auf queere Rechte
Das Erstarken rechtsextremer Kräfte in Europa geht leider Hand in Hand mit zunehmendem Druck auf die Rechte der LGBTQIA+ Gemeinschaft. Ein alarmierender Höhepunkt der antidemokratischen Entwicklung ist das kürzlich beschlossene Pride-Verbot in Ungarn. Überraschend kommt das nicht – Ministerpräsident Orbán hat in den vergangenen Jahren systematisch Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt.
Das neue Gesetz wurde im März im Eilverfahren im ungarischen Parlament von der rechtsnationalen Mehrheit unter dem Deckmantel des „Kinderschutzes“ verabschiedet. Es erlaubt Behörden, Organisator:innen und Teilnehmer:innen von Veranstaltungen wie der Pride-Parade mit Geldstrafen von bis zu 500 Euro zu belegen. Zur Identifikation von Demonstrierenden darf sogar digitale Gesichtserkennung eingesetzt werden. Das verstößt klar gegen das seit Februar geltende europäische KI-Gesetz, das Gesichtserkennung im öffentlichen Raum grundsätzlich verbietet – mit Ausnahme schwerer Straftaten und nur mit richterlicher Genehmigung. Die Teilnahme an einer friedlichen Parade fällt ganz sicher nicht darunter.
Was in Ungarn bereits verboten ist
Das Pride-Verbot ist kein Einzelfall, es reiht sich ein in eine lange Liste von Maßnahmen, mit denen Viktor Orbán seit seiner Rückkehr an die Macht 2010 systematisch Bürgerrechte abbaut, die Justiz und Medien unter Kontrolle bringt und seine Macht festigt. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen in Ungarn weder heiraten noch adoptieren. Genderstudien wurden von Universitäten verbannt. Öffentliche Aufklärung über sexuelle Vielfalt ist verboten, ebenso wie Werbung mit homosexuellen Inhalten. Rechtskräftig wird das Pride-Verbot erst mit der Unterschrift des Präsidenten. Umso wichtiger ist jetzt der laute gesellschaftliche und politische Aufschrei, dass Europa dieses restriktive Familien- und Weltbild nicht teilt.
Tausende Demonstranten
In Budapest demonstrieren seit Wochen tausende Menschen gegen das Gesetz. Und unüblich für Ungarn, regt sich auch außerhalb der Hauptstadt Widerstand in Form von Protesten. Laut einer Eurobarometer-Studie unterstützt die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung Orbáns repressive Politik nicht. Gleichzeitig nehmen Übergriffen auf queere Menschen, laut der nationalen LGBTQI-Organisation Háttér, allerdings zu – ermutigt durch eine Regierung, die Hass salonfähig macht.
Debatte im EU-Parlament
Die sozialdemokratische Fraktion hat eine Debatte über das Pride-Verbot im Europäischen Parlament gefordert und appelliert an die EU-Kommission nicht blind zu sein, wenn Grundrechte mit Füßen getreten werden. Diskriminierung darf nicht institutionalisiert und normalisiert werden. Es müssen Konsequenzen folgen. Die europäische Kommission muss Druck machen und erneut Vertragsverletzungsverfahren wegen Diskriminierung gegen Ungarn einleiten. Zuletzt wurde dieses Mittel wegen eines Gesetzes angewendet, das die Darstellung von Homo- und Transsexualität in Lehrplänen, Büchern und Filmen verbieten sollte. Wenn notwendig müssen auch erneut EU-Mittel drastisch gekürzt werden. Die EU-Kommission hat in Ungarn bereits Millionen an Fördergeldern wegen Fällen des Korruptionsverdachts eingefroren. Auch in Polen wurden EU-Förderanträge für Landkreise abgelehnt, weil diese sich zu LGBTQIA+ freien Zonen erklärten. Es ist unsere Pflicht im EU-Parlament, sicherzustellen, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung, frei und sicher leben können – in Ungarn, Österreich und ganz Europa. Trotz des Gesetzes wollen die Organisatoren die Pride-Parade in Budapest am 28. Juni durchführen.
Text von Hannes Heide
Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament
Er engagiert sich im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres für den Schutz der europäischen Grundrechte und ist in den Ausschüssen für Kultur & Bildung, sowie Regionalentwicklung tätig.