„Kurz bevor ich das Ende des Tunnels erreichte, schlug ich den Kragen meiner Lederjacke hoch. Nicht weil es kalt war. Es war erst Anfang September. Nein, es hatte denselben Effekt wie ein unverwundbarer Panzer. Eine glänzende Rüstung, in der du durch das Portal einer Burg reitest, um die Tochter des Königs zu entführen.“ (Mirjam Müntefering, „Ada sucht Eva“)
Hast du dich schon einmal durch deine Kleidung oder Make-Up geschützt? Vielleicht eine Lederjacke übergestreift oder mit extra rotem Lippenstift die Lippen nachgezogen? Wir können selbst entscheiden, wann und ob wir solch einen körperlichen Schutz brauchen. Aber wenn man eine queere und (meist) binär weiblich gelesene Person ist, ist man einer doppelten Belastung durch Bodyshaming ausgesetzt. Einerseits wirken gesellschaftliche Schönheitsstandards auf uns ein, die unser Denken über unsere Figur, unsere Frisuren, bestimmte Körperteile und Kleidungsstücke beeinflussen. Andererseits sind wir auch bestimmten Erwartungen innerhalb der Community ausgesetzt. Wir erleben den Druck, welcher unsere eigene Wahrnehmung, unser Selbstbewusstsein, unser Körperbild und das Dating-Leben beeinflussen kann. Entsprechen wir nicht den Klischees, so können wir uns unsichtbar fühlen, egal ob in der Welt da draußen oder in der eigentlich geschützten Community. Wir spüren also den Druck des „Passings“, wollen hineinpassen in die Welt, in die Community. Dies kann dazu führen, dass wir unser eigenes Wohlgefühl und unsere Authentizität unterdrücken, um die externen Anforderungen zu erfüllen. Dabei kann es der Person, der du gerade ins Gesicht schaust, genauso gehen wie dir – denn sie teilt vielleicht die gleichen Erfahrungen. Um diesem Druck etwas entgegenzusetzen, können wir uns Wege wie unsere Kleidung oder die Gestaltung unseres Äußeren suchen, um eine Art Rüstung als Schutz unserer Körper anzulegen. Das kann eine Lederjacke sein, aber auch andere Möglichkeiten sind denkbar. Die Freiheit, diese Rüstung an- oder ablegen zu können, kann uns dabei helfen, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und uns Mut geben.
Scham statt Zorn oder Zorn statt Scham
Was meint Bodyshaming eigentlich? Das englische Verb „to shame“ bedeutet jemanden beleidigen, beschämen. Diese Beschämung ist hier auf den Körper bezogen und in diesem begründet. Es kann jede Form der Abwertung umfassen, zum Beispiel Gewicht, Kleidung oder Erscheinungsbild. Dabei ist in binär gedachten Körpern sehr viel gesellschaftlich eingeschrieben, insbesondere in weiblich gelesene Körper. So lernen weiblich sozialisierte Personen beispielsweise Scham zu empfinden, wenn ihnen jemand unrecht antut, statt Zorn zu empfinden und entsprechend zu handeln. Sie reagieren somit mit Selbstbeschuldigung, statt Täter*innen laut und zornig auf Normverstöße hinzuweisen. Sie fragen sich, was sie falsch gemacht haben, statt zu benennen, dass die andere Person falsches Verhalten zeigt. Sie erlernen das ideale Normverhalten und das normierte Aussehen und sind sich dessen bewusst, wenn sie dem nicht entsprechen. Es erfordert Kraft und Reflektion, diesem erlernten Verhalten entgegenzutreten und aktiv dagegen zu handeln, um neue Verhaltensmuster zu etablieren und Selbstakzeptanz zu empfinden. Dabei kann Zorn kraftvoll und befreiend wirken, wenn dieser ans Außen gerichtet ist, statt wie Scham auf das Innen. Er kann uns die Kraft geben, Unrecht offen zu thematisieren und uns Unterstützung von anderen einbringen.
Nach dem Erfahren von Bodyshaming fühlt die betroffene Person selbst Scham, Unsicherheit, es erschüttert möglicherweise tiefgreifend das eigene Selbstbewusstsein. Dabei ist es der eigene Körper, der von außen bewertet wird – eine Bewertung, die dem Gegenüber nicht zusteht. Auch in der Community sind Personen, die bewertendes Verhalten erlernt haben, wir können uns während unserer Sozialisation kaum dagegen wehren. Aber wir können aktiv dagegenhandeln. Wir können uns dafür entscheiden, solche gesellschaftlichen Strukturen zu durchbrechen und als Grundannahme annehmen: Fremde Körper werden nicht bewertet. Reflektiere ich selbst mein Verhalten nicht und bewerte andere, sorge ich dafür, dass andere sich schlecht fühlen, dann bin ich selbst im Unrecht. Die Scham sollte nicht bei der bewerteten Person liegen. Entscheiden wir uns als Community immer wieder dafür, aktiv solches Verhalten zu ändern, können wir den uns auferlegten Klischees widerstehen. Wir können unsere Körper als Schutz nutzen, aber auch als Ausdrucksformen unserer Identitäten, wir können Grenzen setzen und für Respekt einstehen.