Ein sorgenreiches Thema
Im Jahr 2022 hat Luan Pertl, mit der Unterstützung von Dr. Karin Schönpflug, die Expertise „Inter* und Alter(n)“ für die Schwulenberatung Berlin erstellt. Diese Expertise sollte ein Start sein, um herauszufinden welche Herausforderungen inter* Menschen im Alter haben und wie sie mit dem Thema Pflege im Alter umgehen. Neben den Interviews wurden die wenigen bereits vorhandene Studien sowie die eigenen Arbeitserfahrungen direkt in „Altenpflegeeinrichtungen“ herangezogen. Dieser Artikel gibt eine kurze Zusammenfassung.
Das Ergebnis der Expertise zeigt leider erschreckende Erkenntnisse, gleich vorweg. Leider sprechen wir wirklich von einer erschreckenden, drastischen Wichtigkeit, inter* Menschen im Alter unterstützen zu müssen. 90% der befragten inter* Personen würden ihrem Leben eher ein Ende setzen als in eine Altenpflegeeinrichtung zu müssen und abhängig vom nicht geschulten medizinischen- und/oder Pflegepersonal zu sein. Die Sorge, wieder bzw. weiterhin aufgrund der Intergeschlechtlichkeit pathologisiert zu werden, oder vielleicht gar nur auf das inter* Sein reduziert zu werden und nicht den tatsächlichen Pflegebedarf zu bekommen, ist sehr groß. Unabhängigkeit bis ins hohe Alter steht ganz oben für inter* Menschen, oder der Traum von einem Community-Zuhause, welches vielleicht erschaffen werden könnte, waren immer wieder Themen in den Interviews. Diese Sorgen und Gedanken sind auch sehr verständlich, wenn man bedenkt, dass 30 Pflegeeinrichtungen in Berlin für Interviews angefragt wurden und keine einzige davon geantwortet bzw. sich für ein Interview bereit erklärt hat. Es zeigt weiterhin eine hohe Unkenntnis und Tabuisierung von Intergeschlechtlichkeit im Pflegebereich und noch mehr im Pflegebereich für ältere inter* Menschen. Um diese Tabuisierung und Unwissenheit zu durchbrechen, bedarf es eines gezielten Schulungsprogrammes und Leitlinien, welche gemeinsam mit der inter* Community erarbeitet werden müssen, so die Interviewpartner*innen. Glücklicherweise gibt es aber auch einige Pflegeeinrichtungen in Berlin und auch dem weiteren Deutschland, welche schon eine Schulung bzw. Zertifizierung vom Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt der Schwulenberatung Berlin haben. Um dieses Qualitätssiegel zu erhalten, muss man einige Fortbildungen machen, unter anderem auch einer Fortbildung zum Thema Inter* bzw. Variationen der Geschlechtsmerkmale. Bei diesen Fortbildungen war zu erkennen, dass es ein hohes Maß an Interesse gibt, inter* Menschen „richtig“ und „korrekt“ zu pflegen, dass es aber eben auch eine sehr hohe Unwissenheit zu diesem Thema gibt. Viel von dieser Unwissenheit konnte in den Schulungen ausgeräumt werden, dennoch bleibt noch immer der Punkt offen, dass es eigentlich auch Teil der Grundausbildung für Pflegepersonal sein sollte, denn nicht alle Pflegeeinrichtungen haben die finanziellen Mittel, ihre Mitarbeiter*innen schulen lassen zu können.
Umgelegt auf Österreich wissen wir zwar, dass inter* Menschen immer wieder in Altenpflegeeinrichtungen sind, aber dass auch dort kaum über Intergeschlechtlichkeit gesprochen wird und es auch hier sehr viel Unwissenheit und Tabuisierung dazu gibt. Eine entsprechende Studie für Österreich dazu wäre natürlich auch gut, startend mit Wien, um den genauen Schulungsbedarf zu erheben und in weiterer Folge dann auch hier Fortbildungen anbieten zu können. Vielleicht sollte man auch in Österreich ein ähnliches System wie das Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt installieren, um Menschen der LGBTIQA+ Community zu erleichtern ein „safes“ Zuhause im Alter haben zu können.
Die volle Expertise können Sie hier lesen: https://schwulenberatungberlin.de/wp-content/uploads/2022/06/InterAlterFinal1.pdf